Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Ich sehe mir überhaupt nicht ähnlich
WIE
In Gedanken versunken beobachtete er die Bedienung hinter dem Tresen, ein eher androgyner Typ, die langen dunklen Haare zu einem Dutt hoch geknotet, leichter Bartwuchs, schlanke Schultern. Fern ab davon, sich irgendwie typisch männlich geben zu müssen.
Warum gaben sie sich eigentlich so wie sie jetzt aussahen? Hatten sie doch ganz anders angefangen, hatten Zivildienst geleistet, dort vor allem mit Frauen und Kolleginnen gearbeitet und Aufgaben übernommen, die damals immer noch eher als typisch weiblich galten. Und später hatten sie Kinderwägen geschoben, Windeln gewechselt, abends im Bett vorgelesen, Pausenbrote geschmiert, Vokabeln abgehört, vor Klausuren gepaukt, Rucksäcke für Wanderfahrten gepackt. Sie hatten die Kita und Grundschuljahre mit Elternbeteiligungen bestritten, Bastelstunden, Sommerfeste, Elternabende, Schulfeste, Aufführungen vorrangig zusammen mit Lehrerinnen und Müttern durchgestanden. Sie waren daran gewöhnt, dass die Frauen die Autos fuhren, die Renovierungen von Kindergärten organisierten, den Umbau von Wohnung oder Haus planten. Warum standen sie jetzt eigentlich hier mit Lederjacken, Dreitagebärten, markanten schwarzen Brillen und schwerem Schuhwerk am Tresen? Warum mussten sie eigentlich diese Holzfäller-Typen markieren?
Er bewunderte immer noch den jungen Mann hinter dem Tresen, wie er mit eleganten Bewegungen die Gläser füllte, die Flaschen mit ausholenden Gesten wieder verschloss und wegpackte. Er hätte auch Tänzer und Schauspieler sein können, oder bewegte er sich einfach nur so, weil es ihm gefiel, er es sich traute auszuprobieren. Genauso wie seine schwarz lackierten Fingernägel, die dünnen goldenen Ringe an den Fingern, der dunkle Kajalstift um die Augen.
„Wir sehen uns überhaupt nicht ähnlich“, sagte er plötzlich in die Runde, um gleich auch zu merken, dass die drei Freunde ihn leicht verwundert anschauten.
„Wieso, guck uns an, wie sehen uns doch alle sehr ähnlich.“
„Das meine ich nicht. Jeder einzelne sieht sich nicht ähnlich. Ich zum Beispiel habe das Gefühl, mir überhaupt nicht ähnlich zu sehen. Ich glaube, da gäbe es was, mit dem sähe ich mir viel ähnlicher.“
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Ich sehe mir überhaupt nicht ähnlich
WIE
In Gedanken versunken beobachtete er die Bedienung hinter dem Tresen, ein eher androgyner Typ, die langen dunklen Haare zu einem Dutt hoch geknotet, leichter Bartwuchs, schlanke Schultern. Fern ab davon, sich irgendwie typisch männlich geben zu müssen.
Warum gaben sie sich eigentlich so wie sie jetzt aussahen? Hatten sie doch ganz anders angefangen, hatten Zivildienst geleistet, dort vor allem mit Frauen und Kolleginnen gearbeitet und Aufgaben übernommen, die damals immer noch eher als typisch weiblich galten. Und später hatten sie Kinderwägen geschoben, Windeln gewechselt, abends im Bett vorgelesen, Pausenbrote geschmiert, Vokabeln abgehört, vor Klausuren gepaukt, Rucksäcke für Wanderfahrten gepackt. Sie hatten die Kita und Grundschuljahre mit Elternbeteiligungen bestritten, Bastelstunden, Sommerfeste, Elternabende, Schulfeste, Aufführungen vorrangig zusammen mit Lehrerinnen und Müttern durchgestanden. Sie waren daran gewöhnt, dass die Frauen die Autos fuhren, die Renovierungen von Kindergärten organisierten, den Umbau von Wohnung oder Haus planten. Warum standen sie jetzt eigentlich hier mit Lederjacken, Dreitagebärten, markanten schwarzen Brillen und schwerem Schuhwerk am Tresen? Warum mussten sie eigentlich diese Holzfäller-Typen markieren?
Er bewunderte immer noch den jungen Mann hinter dem Tresen, wie er mit eleganten Bewegungen die Gläser füllte, die Flaschen mit ausholenden Gesten wieder verschloss und wegpackte. Er hätte auch Tänzer und Schauspieler sein können, oder bewegte er sich einfach nur so, weil es ihm gefiel, er es sich traute auszuprobieren. Genauso wie seine schwarz lackierten Fingernägel, die dünnen goldenen Ringe an den Fingern, der dunkle Kajalstift um die Augen.
„Wir sehen uns überhaupt nicht ähnlich“, sagte er plötzlich in die Runde, um gleich auch zu merken, dass die drei Freunde ihn leicht verwundert anschauten.
„Wieso, guck uns an, wie sehen uns doch alle sehr ähnlich.“
„Das meine ich nicht. Jeder einzelne sieht sich nicht ähnlich. Ich zum Beispiel habe das Gefühl, mir überhaupt nicht ähnlich zu sehen. Ich glaube, da gäbe es was, mit dem sähe ich mir viel ähnlicher.“