Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Heiße Luft
WIE
1
"Frische Luft", hört man, als sich die Türen öffnen, und die Zuhörermassen aus dem viel zu kleinen Raum mit den viel zu langen Einführungs- und Dankesworten strömen. Dabei wissen alle, wie gerne der Verbandsvorsitzende sich selber reden hört, wenn er über Klimaschutz, die Verschmutzung der Atmosphäre und die steigenden Temperaturen spricht.
2
„Und was ist mit deinen Unterarmschmerzen?“, fragt die Freundin teilnehmend.
"Ach die, die haben sich in Luft aufgelöst“, sie streckt demonstrativ ihren rechten Arm mehrmals hintereinander aus, „von mir aus können wir Samstag wieder Tennis spielen.“
„Ach, das ging aber schnell, vorgestern meintest du noch es tut höllisch weh.“
„Habe ich das? Kann mich gar nicht erinnern.“
3
„Hat Luft und hat Spiel, passt.“ Der Verkäufer rüttelt am Hosenbund, als sei der Kunde nur eine Anziehpuppe. So fühlt sich wohl auch der ältere Mann, denn Verkäufer und Gattin sind sich einig, das ist die richtige Hose für ihn, ohne eine Antwort abzuwarten. Und während er noch damit beschäftigt ist, sich die Schnürsenkel zuzubinden, zieht gehen die beiden schon zur Kasse.
4
"Und Luft anhalten." Und dann ist dieses unsägliche Summen zu hören und das Gefühl ist da, von unzähligen Röntgenstrahlen durchdrungen zu werden, aber nichts davon zu merken. Nur mit dem Wissen im Kopf, dass das nicht gut ist, aber halt auch unumgänglich. Dann kommt das erlösende „Weiteratmen“, und er ist froh, dass er noch lebt.
5
"Ich wollte dich nur darauf hinweisen, deine Lebensmittelverschwendung ist bereits Teil der gesamten Nachhaltigkeitsproblematik."
"Das ist doch völlig aus der Luft gegriffen“, schreit sie zurück.
Dass sie so aus der Haut fährt, hat er nicht erwartet. Schließlich wollte er nur auf die vielen abgelaufenen Produkte im Kühlschrank hinweisen. Was hat ihn nur dazu getrieben, genau an ihrem Geburtstag den Kühlschrank aufzuräumen?
6
„Die Luft ist raus.“ Sie sammelt die vorbereiteten Infoblätter, die auf dem langen Konferenztisch liegen ein und schaut traurig auf die Anwesenheitsliste. "Wenn man bedenkt, dass wir mal mit 48 Interessenten angefangen haben, doch irgendwie ein Trauerspiel. Wer hätte das gedacht, dass das Interesse am Schutz der Mauersegler, dieser Könige der Lüfte, sich so schnell in Luft auflöst."
7
„Ich wollte einfach mal andere Luft schnuppern“, meint sie lapidar, als ihre Freundin sie fragt, wieso sie sich zwei Wochen nicht gemeldet hat.
„Ich habe einen richtig netten Typen kennengelernt", meint sie, "so was Süßes, du glaubst es nicht. Wir sind zwei Wochen fast nicht rausgekommen, naja, da habe ich mich auch nicht bei dir gemeldet, du verstehst?Jetzt ist er wieder zurück zu seiner Firma nach Vancouver."
Andere Luft schnuppern, so kann man das auch nennen, wenn man zwei Wochen wie vom Erdboden verschwunden ist, denkt sie.
8
"Da ist noch Luft nach oben", meint der Ausbilder zu seinen Praktikanten und verteilt die korrigierten Artikel zurück, "etwas mehr Pfiff hätte ich schon von ihnen erwartet, originellere Überschriften, näher am Geschehen, mehr Emotion, weniger Meinung, mehr Action, weniger Hintergrund. Wir sind ein Boulevardblatt, nicht das Feuilleton der Süddeutschen."
9
Dass er sie in letzter Zeit kaum noch beachtet, war ihr nicht entgangen. Dass er sich ihre Unterlagen geben ließ, die sie gerade für ihre Präsentation brauchte, hatte sie auch noch durchgehen lassen. Dass er mit der neuen Volontärin es nicht mehr für nötig hielt, sie auch zu fragen, ob sie mit in die Kantine käme, war ihr auch nicht entgangen. Aber dass er ihre Katzenfotos auf Facebook nicht mehr likte, das war einfach zu viel. „Ich bin doch nur Luft für ihn!“ klagte sie ihrer Freundin.
10
„Hab ich doch gewusst, alles nur heiße Luft.“ Sechs Wochen lang hat er an der Online Weiterbildung über Energiesparmaßnahmen am Arbeitsplatz teilgenommen und ist verpflichtet, allen Mitarbeiten darüber zu unterrichten und als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen. Zwei Wochen später sind die Temperaturen draußen bei 40 Grad, 60 Prozent aller Mitarbeitet arbeiten im Homeoffice, aber die gesamte Kühlung aller Büros läuft weiter. Schließlich bestand für ihn Anwesenheitspflicht.
Texte zum Alltäglichen -
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Heiße Luft
WIE
1
"Frische Luft", hört man, als sich die Türen öffnen, und die Zuhörermassen aus dem viel zu kleinen Raum mit den viel zu langen Einführungs- und Dankesworten strömen. Dabei wissen alle, wie gerne der Verbandsvorsitzende sich selber reden hört, wenn er über Klimaschutz, die Verschmutzung der Atmosphäre und die steigenden Temperaturen spricht.
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„Und was ist mit deinen Unterarmschmerzen?“, fragt die Freundin teilnehmend.
"Ach die, die haben sich in Luft aufgelöst“, sie streckt demonstrativ ihren rechten Arm mehrmals hintereinander aus, „von mir aus können wir Samstag wieder Tennis spielen.“
„Ach, das ging aber schnell, vorgestern meintest du noch es tut höllisch weh.“
„Habe ich das? Kann mich gar nicht erinnern.“
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„Hat Luft und hat Spiel, passt.“ Der Verkäufer rüttelt am Hosenbund, als sei der Kunde nur eine Anziehpuppe. So fühlt sich wohl auch der ältere Mann, denn Verkäufer und Gattin sind sich einig, das ist die richtige Hose für ihn, ohne eine Antwort abzuwarten. Und während er noch damit beschäftigt ist, sich die Schnürsenkel zuzubinden, zieht gehen die beiden schon zur Kasse.
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"Und Luft anhalten." Und dann ist dieses unsägliche Summen zu hören und das Gefühl ist da, von unzähligen Röntgenstrahlen durchdrungen zu werden, aber nichts davon zu merken. Nur mit dem Wissen im Kopf, dass das nicht gut ist, aber halt auch unumgänglich. Dann kommt das erlösende „Weiteratmen“, und er ist froh, dass er noch lebt.
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"Ich wollte dich nur darauf hinweisen, deine Lebensmittelverschwendung ist bereits Teil der gesamten Nachhaltigkeitsproblematik."
"Das ist doch völlig aus der Luft gegriffen“, schreit sie zurück.
Dass sie so aus der Haut fährt, hat er nicht erwartet. Schließlich wollte er nur auf die vielen abgelaufenen Produkte im Kühlschrank hinweisen. Was hat ihn nur dazu getrieben, genau an ihrem Geburtstag den Kühlschrank aufzuräumen?
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„Die Luft ist raus.“ Sie sammelt die vorbereiteten Infoblätter, die auf dem langen Konferenztisch liegen ein und schaut traurig auf die Anwesenheitsliste. "Wenn man bedenkt, dass wir mal mit 48 Interessenten angefangen haben, doch irgendwie ein Trauerspiel. Wer hätte das gedacht, dass das Interesse am Schutz der Mauersegler, dieser Könige der Lüfte, sich so schnell in Luft auflöst."
7
„Ich wollte einfach mal andere Luft schnuppern“, meint sie lapidar, als ihre Freundin sie fragt, wieso sie sich zwei Wochen nicht gemeldet hat.
„Ich habe einen richtig netten Typen kennengelernt", meint sie, "so was Süßes, du glaubst es nicht. Wir sind zwei Wochen fast nicht rausgekommen, naja, da habe ich mich auch nicht bei dir gemeldet, du verstehst?Jetzt ist er wieder zurück zu seiner Firma nach Vancouver."
Andere Luft schnuppern, so kann man das auch nennen, wenn man zwei Wochen wie vom Erdboden verschwunden ist, denkt sie.
8
"Da ist noch Luft nach oben", meint der Ausbilder zu seinen Praktikanten und verteilt die korrigierten Artikel zurück, "etwas mehr Pfiff hätte ich schon von ihnen erwartet, originellere Überschriften, näher am Geschehen, mehr Emotion, weniger Meinung, mehr Action, weniger Hintergrund. Wir sind ein Boulevardblatt, nicht das Feuilleton der Süddeutschen."
9
Dass er sie in letzter Zeit kaum noch beachtet, war ihr nicht entgangen. Dass er sich ihre Unterlagen geben ließ, die sie gerade für ihre Präsentation brauchte, hatte sie auch noch durchgehen lassen. Dass er mit der neuen Volontärin es nicht mehr für nötig hielt, sie auch zu fragen, ob sie mit in die Kantine käme, war ihr auch nicht entgangen. Aber dass er ihre Katzenfotos auf Facebook nicht mehr likte, das war einfach zu viel. „Ich bin doch nur Luft für ihn!“ klagte sie ihrer Freundin.
10
„Hab ich doch gewusst, alles nur heiße Luft.“ Sechs Wochen lang hat er an der Online Weiterbildung über Energiesparmaßnahmen am Arbeitsplatz teilgenommen und ist verpflichtet, allen Mitarbeiten darüber zu unterrichten und als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen. Zwei Wochen später sind die Temperaturen draußen bei 40 Grad, 60 Prozent aller Mitarbeitet arbeiten im Homeoffice, aber die gesamte Kühlung aller Büros läuft weiter. Schließlich bestand für ihn Anwesenheitspflicht.