Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Graues Gold
WIE
Nachdem er die Getränkekarte zur Seite gelegt hatte, schaute er sich in der Bar um. Zwei Männer fielen ihm auf, die lässig am Thesen lehnten und gerade damit beschäftigt waren, sich gegenseitig ihre Armbanduhren vorzuführen. Das interessierte ihn, erst letzte Woche war er in der Stadt gewesen, um sich nach einer neuen Uhr umzusehen. Dass er so nach einigen Jahre immer wieder nach etwas Neuem schaute, war vertretbar, schließlich lag sein Preislimit für Uhren so bei 30 Euro. Neues Armband und Batterie waren nicht billiger. Und er bevorzugte sowieso schlichte und übersichtliche Modelle.
So ziemlich das Gegenteil dessen, was er gerade bei den Herren beobachten konnte. Deren Uhren sahen aus wie die, die er letzte Woche im Schaufenster eines Juweliergeschäft hinter Panzerglas gesehen hatte. Die Preise waren fünfstellig, und er fand: Klunker, Klötze, Brocken, aber keine Uhren. Die Ziffernblätter waren mit weiteren Anzeigen besetzt, darin viele weitere Rädchen zum Drehen, das alles in Gold, teilweise kupferglänzend mit Silber verziert. Kurz gesagt, geschmacklose Material- und Farbzusammenstellung in unförmiger Gestalt. Und genau solche Uhren bewunderten sie am Handgelenk des jeweilig anderen.
„Ey Bruder, die Uhr, weißt du was, die hab ich gestern gekauft. Ey, und weißt du noch was, Bruder, als ich nach Hause komme, sagt meine Perle, 'die gleiche Uhr hast du schon.' Ey, checkst du’s? Die rafft das nicht.“
Alles passte. Pottschwarz gefärbtes Haar, kahl rasierte Streifen an den Seiten, festgeklebtes Oberhaar. Dazu zwei Sonnenbrillen auf der Stirn, so protzig, als stammten sie von der Kirmes. Er war sich sicher, da draußen in der Tiefgarage stünden zwei SUVs - entweder Schwarz oder Weiß - mit dem klobigen Übergewicht und Firlefanz dran, wie es für diese Autos üblich ist.
Als Kind liebte er auch schon die naturgetreuen, wunderschönen bemalten Spielzeugautos der Firma Matchbox, aber in naturgetreuen Proportionen. Aus schwerem, gusseisernen Metall, und da, wo die Farbe etwas abblätterte, war mattes Grau zu sehen. Im Gegensatz zu den Spielzeugautos mit unförmigen Phantasieproportionen und unzähligen, chromglänzenden Teilen bestückt, alles viel zu groß.
Mal abgesehen davon, dass Geldsorgen nicht schön sind, doch wie kann so viel Hässlichkeit im Spiel sein, wenn man viel Geld hat, dachte er. Aber vielleicht hatten die beiden Männer doch Sorgen. Man kann auch Geschäfte und große Geldmengen in den Sand setzen, und dann hilft vielleicht dieses grauenvolles Gold am Handgelenk. Ihm war das graue Gold seiner Matchbox-Autos lieber.
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Graues Gold
WIE
Nachdem er die Getränkekarte zur Seite gelegt hatte, schaute er sich in der Bar um. Zwei Männer fielen ihm auf, die lässig am Thesen lehnten und gerade damit beschäftigt waren, sich gegenseitig ihre Armbanduhren vorzuführen. Das interessierte ihn, erst letzte Woche war er in der Stadt gewesen, um sich nach einer neuen Uhr umzusehen. Dass er so nach einigen Jahre immer wieder nach etwas Neuem schaute, war vertretbar, schließlich lag sein Preislimit für Uhren so bei 30 Euro. Neues Armband und Batterie waren nicht billiger. Und er bevorzugte sowieso schlichte und übersichtliche Modelle.
So ziemlich das Gegenteil dessen, was er gerade bei den Herren beobachten konnte. Deren Uhren sahen aus wie die, die er letzte Woche im Schaufenster eines Juweliergeschäft hinter Panzerglas gesehen hatte. Die Preise waren fünfstellig, und er fand: Klunker, Klötze, Brocken, aber keine Uhren. Die Ziffernblätter waren mit weiteren Anzeigen besetzt, darin viele weitere Rädchen zum Drehen, das alles in Gold, teilweise kupferglänzend mit Silber verziert. Kurz gesagt, geschmacklose Material- und Farbzusammenstellung in unförmiger Gestalt. Und genau solche Uhren bewunderten sie am Handgelenk des jeweilig anderen.
„Ey Bruder, die Uhr, weißt du was, die hab ich gestern gekauft. Ey, und weißt du noch was, Bruder, als ich nach Hause komme, sagt meine Perle, 'die gleiche Uhr hast du schon.' Ey, checkst du’s? Die rafft das nicht.“
Alles passte. Pottschwarz gefärbtes Haar, kahl rasierte Streifen an den Seiten, festgeklebtes Oberhaar. Dazu zwei Sonnenbrillen auf der Stirn, so protzig, als stammten sie von der Kirmes. Er war sich sicher, da draußen in der Tiefgarage stünden zwei SUVs - entweder Schwarz oder Weiß - mit dem klobigen Übergewicht und Firlefanz dran, wie es für diese Autos üblich ist.
Als Kind liebte er auch schon die naturgetreuen, wunderschönen bemalten Spielzeugautos der Firma Matchbox, aber in naturgetreuen Proportionen. Aus schwerem, gusseisernen Metall, und da, wo die Farbe etwas abblätterte, war mattes Grau zu sehen. Im Gegensatz zu den Spielzeugautos mit unförmigen Phantasieproportionen und unzähligen, chromglänzenden Teilen bestückt, alles viel zu groß.
Mal abgesehen davon, dass Geldsorgen nicht schön sind, doch wie kann so viel Hässlichkeit im Spiel sein, wenn man viel Geld hat, dachte er. Aber vielleicht hatten die beiden Männer doch Sorgen. Man kann auch Geschäfte und große Geldmengen in den Sand setzen, und dann hilft vielleicht dieses grauenvolles Gold am Handgelenk. Ihm war das graue Gold seiner Matchbox-Autos lieber.