Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Gott
RAU
Der Kirchenraum hoch und dunkel, die wenigen Menschen in den langen Sitzreihen wie verlorene Schatten, durch die bunten, hohen Fenster dringt kaum Licht, es ist kalt. Ziemlich bedrückend das Ganze. Katinka greift seine Hand und lehnt ihren Kopf an seine Schulter.
„Glaubst du eigentlich an Gott?“, flüstert sie.
„Ach Gottchen, ich?“, flüstert er zurück, „ich bin aus dem Osten, schon vergessen?“
„Auch dort kann man doch an Gott glauben“, sagt sie leise.
„Bei uns gab’s keine Kommunion und auch keine Konfirmation, nur die Jugendweihe.“
„Heißt was?“
„Alles mit Kirche machten nur eine paar Elitäre und Absonderliche.“
Vom leisen Sprechen ist sein Mund trocken, und er muss sich räuspern, Katinka scheint das nicht zu gefallen, sie nimmt seine Hand, sie stehen auf und gehen durch das dunkle, hohe und kalte Kirchenschiff hinaus, dort draußen, auf dem Vorplatz pfeift ein eisiger Abendwind.
„Noch ein Bierchen?“, fragt er.
Sie nickt und führt ihn durch enge Altstadtgassen, dann redet sie einfach weiter. „Also ich glaube schon, dass es ihn gibt, einen Gott, nur anders, als sie uns früher immer erzählt haben.“
„So, tust du. Ich nicht, ich denke, es kommt alles so, wie es kommen soll.“
„Glaubst du nicht an etwas Höheres?“, fragt sie.
„Was soll das bitte schön sein?“
„Irgendeine Ordnung“, meint sie, „oder ein Sinn.“
„Ach Gottchen“, sagt er und muss schmunzeln, „ach Gottchen sagt meine Mutter immer dann, wenn etwas Schreckliches passiert ist. Vater sagt in solchen Fällen immer nur ‚mein Gott aber auch'. Und meine Schwester übertreibt es natürlich und plärrt gerne ‚oh Gott o Gott‘.
„Für das Schlechte ist er bei euch schon zuständig? Ziemlich schräg“, meint Katinka.
„So in etwa. Aber jetzt fällt mir wieder eine Geschichte ein, die mir Onkel Hans mal erzählt hat, mit ihm bin ich als Junge viel unterwegs gewesen, Angeln und Picknicken am Fluss oder See, manchmal auch mit Zelten. Er erzählte von einem Jungen, der aus dem Gottesdienst ins Freie lief, der dieses ganze Gerede, die Psalmen, Bibelsprüche, Gebete und Fürbitten samt Gesängen und Weihrauchduft wohl nicht vertrug und unbedingt an die frische Luft musste, bevor ihm schlecht wurde, sich auf eine Bank unter Bäumen setzte und tief durchatmete. Da setzte sich Gott neben ihn und sagte ganz liebevoll zu ihm, Tag Kollege, so ein schönes Wetter heute, die Sonne scheint, die Vögel singen, wie recht er täte, hinausgegangen zu sein aus diesem schrecklich dunklen Gebäude mit dem schlechten Geruch, den traurigen Gesängen und der schmerzverzehrten Gestalt am Kreuz.“
„Schöne Geschichte, ist wohl ein feiner Mensch dein Onkel Hans“, meint sie.
Er nickt nur, denkt eine Weile über die alten Zeiten am Wasser mit Onkel Hans nach und überlegt, ob die Geschichte nicht doch etwas anders gewesen ist, dann drückt er Katinkas Hand noch etwas fester.
„Ja, das war er. Aber nochmal zu Gott. Ich denke, viele Menschen brauchen ihn, und deshalb gibt es ihn. Gott ist von den Menschen gemacht, damit sie leichter leben können.“
„Und sterben können auch“, sagt sie.
„Sehr wahrscheinlich, aber jetzt lass gut sein. Erst die bedrückende, kalte Kirche und jetzt das ernste Gespräch. Komm, der Abend ist noch jung, zeige mir deine Stadt, aber zuerst ein Bier.“
Sie drückt ihm einen schnellen Kuss auf den Mund und zieht ihn in die nächste Kneipe, sie bestellen zwei Kölsch an der Theke. Das würde dem Gott von Onkel Hans sicher auch gefallen.
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Gott
RAU
Der Kirchenraum hoch und dunkel, die wenigen Menschen in den langen Sitzreihen wie verlorene Schatten, durch die bunten, hohen Fenster dringt kaum Licht, es ist kalt. Ziemlich bedrückend das Ganze. Katinka greift seine Hand und lehnt ihren Kopf an seine Schulter.
„Glaubst du eigentlich an Gott?“, flüstert sie.
„Ach Gottchen, ich?“, flüstert er zurück, „ich bin aus dem Osten, schon vergessen?“
„Auch dort kann man doch an Gott glauben“, sagt sie leise.
„Bei uns gab’s keine Kommunion und auch keine Konfirmation, nur die Jugendweihe.“
„Heißt was?“
„Alles mit Kirche machten nur eine paar Elitäre und Absonderliche.“
Vom leisen Sprechen ist sein Mund trocken, und er muss sich räuspern, Katinka scheint das nicht zu gefallen, sie nimmt seine Hand, sie stehen auf und gehen durch das dunkle, hohe und kalte Kirchenschiff hinaus, dort draußen, auf dem Vorplatz pfeift ein eisiger Abendwind.
„Noch ein Bierchen?“, fragt er.
Sie nickt und führt ihn durch enge Altstadtgassen, dann redet sie einfach weiter. „Also ich glaube schon, dass es ihn gibt, einen Gott, nur anders, als sie uns früher immer erzählt haben.“
„So, tust du. Ich nicht, ich denke, es kommt alles so, wie es kommen soll.“
„Glaubst du nicht an etwas Höheres?“, fragt sie.
„Was soll das bitte schön sein?“
„Irgendeine Ordnung“, meint sie, „oder ein Sinn.“
„Ach Gottchen“, sagt er und muss schmunzeln, „ach Gottchen sagt meine Mutter immer dann, wenn etwas Schreckliches passiert ist. Vater sagt in solchen Fällen immer nur ‚mein Gott aber auch'. Und meine Schwester übertreibt es natürlich und plärrt gerne ‚oh Gott o Gott‘.
„Für das Schlechte ist er bei euch schon zuständig? Ziemlich schräg“, meint Katinka.
„So in etwa. Aber jetzt fällt mir wieder eine Geschichte ein, die mir Onkel Hans mal erzählt hat, mit ihm bin ich als Junge viel unterwegs gewesen, Angeln und Picknicken am Fluss oder See, manchmal auch mit Zelten. Er erzählte von einem Jungen, der aus dem Gottesdienst ins Freie lief, der dieses ganze Gerede, die Psalmen, Bibelsprüche, Gebete und Fürbitten samt Gesängen und Weihrauchduft wohl nicht vertrug und unbedingt an die frische Luft musste, bevor ihm schlecht wurde, sich auf eine Bank unter Bäumen setzte und tief durchatmete. Da setzte sich Gott neben ihn und sagte ganz liebevoll zu ihm, Tag Kollege, so ein schönes Wetter heute, die Sonne scheint, die Vögel singen, wie recht er täte, hinausgegangen zu sein aus diesem schrecklich dunklen Gebäude mit dem schlechten Geruch, den traurigen Gesängen und der schmerzverzehrten Gestalt am Kreuz.“
„Schöne Geschichte, ist wohl ein feiner Mensch dein Onkel Hans“, meint sie.
Er nickt nur, denkt eine Weile über die alten Zeiten am Wasser mit Onkel Hans nach und überlegt, ob die Geschichte nicht doch etwas anders gewesen ist, dann drückt er Katinkas Hand noch etwas fester.
„Ja, das war er. Aber nochmal zu Gott. Ich denke, viele Menschen brauchen ihn, und deshalb gibt es ihn. Gott ist von den Menschen gemacht, damit sie leichter leben können.“
„Und sterben können auch“, sagt sie.
„Sehr wahrscheinlich, aber jetzt lass gut sein. Erst die bedrückende, kalte Kirche und jetzt das ernste Gespräch. Komm, der Abend ist noch jung, zeige mir deine Stadt, aber zuerst ein Bier.“
Sie drückt ihm einen schnellen Kuss auf den Mund und zieht ihn in die nächste Kneipe, sie bestellen zwei Kölsch an der Theke. Das würde dem Gott von Onkel Hans sicher auch gefallen.