Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
WIE
Seit langem mal wieder bin ich mit einem Kollegen zum Essen verabredet. Kurz nachdem ich sein Büro betrete, klingelt sein Telefon. Also muss ich warten oder die Gelegenheit nutzen, die ihm eigene, perfekt aufgeräumte Ordnung auf mich wirken zu lassen.
Schreibtisch, Regalfächer, Pinnwand … alles akkurat bestückt mit Post-its und Aufklebern deutlich markiert, sortiert und nummeriert. Farben und Zahlen weisen jedem Stapel, jedem Ordner eine eindeutige Stellung zu. Alles vom Vorteil bestimmt, jedes Teil sofort zu finden, nichts suchen zu müssen. Aber sind diese äußerst effektiven Handgriffe für alles wirklich das Beste? Ich versuche mir vorzustellen, wie man in so einem Raum kreativ sein kann. Ich versuche auszurechnen, wie viele Kartons es braucht, um mit so einem Arbeitsraum umzuziehen. Nicht viele, vielleicht neun. Was heißt nicht viele? Manche Menschen finden fünfzehn Kartons viel und sieben nicht viel. Ich habe vor zwei Jahren erfahren, dass ich neunzig Kartons brauche, um mit meinem Arbeitsraum umzuziehen. Hundert wären dann auch für mich viel gewesen. Vielleicht könnte man auf die Frage, was der Kollege für ein Mensch ist, sagen, so ein Neun-Karton-Typ. Und über mich? So ein Neunzig-Karton-Typ.
Ich liebe Massen und Sammlungen. Aber nicht jede Art von Massen. Sie brauchen nicht in Reih und Glied aufgereiht zu sein. Aber es ist schön, wenn Gleiches und Ähnliches nebeneinander liegen. Wie in musealen Vitrinen, in gut bestückten Werkstätten. Die Liebe für Massen dieser Arten und die Abneigung von Massen anderer Art liegen oft eng beieinander. Massen, die zu chaotisch, unberechenbar, undurchdringbar sind, irritieren mich auch. Wirkliches Durcheinander finde ich unausstehlich. Da, wo die Dinge sich gegenseitig stören, weil das eine am anderen kratzt, weil Scharfes mit Weichem, Leichtes mit Schwerem zu enge beieinander liegen und sich gegenseitig ramponieren.
Der Respekt vor den Dingen und ihrer Aufbewahrung gehört dazu. Nur so können Massen und Vorräte zum Reichtum werden, aus dem sich unzählige Sachen zaubern lassen. Dinge, die nicht ganz festgelegt, nicht komplett nur für eine bestimmte Aufgabe eingebunden sind, noch Spielraum haben.
Solche Vorräte bestehen bei mir aus gezeichneten Objekten auf Papier, mehr oder weniger sortiert, ausgeschnitten oder bereits aufgeklebt oder ganz lose. Figuren, Räume, Einrichtungen, Häuser, Wolken, Berge, Bäume. Daneben gibt es auch bedrucktes, gestempeltes und geschnittenen Papier. In Pappdeckeln sortiert lassen sich daraus Szenerien zusammenstellen. Das können Ausgangspunkte für Illustrationen, Karikaturen, Geschichten werden. Es ist eine geheimnisvolle Balance, nicht zu sehr festgelegt und dennoch kein willkürliches Durcheinander.
Beim Umgang mit Texten kann es ähnlich sein. Ich besitze sehr viele Notizen, als Karten, Zettel, aufrecht in Kartons aufgereiht, die sich verwerten lassen. Ich liebe Wortlisten und Wortreihen. Sie lassen sich auch sortieren oder wieder durcheinander würfeln. Aus ihnen lassen sich Texte machen und Sprachbasteleien oder Geschichten bauen, sie inspirieren. Ihr Überfluss bedeutet Reichtum.
Menschen fragen mich, wie ich mit dem Chaos klarkomme. Sie meinen, ich suche ständig. Ich sage, ich finde ständig. Manchmal suche auch ich etwas. Dann lasse ich mir Zeit. Das macht nichts, weil so viel anderes Brauchbares zum Vorschein kommt.
Freunde berichten mir, dass auch sie kleine Ecken besitzen, in denen die Masse leben darf. In kleinen Kammern, Schubladen, in der Garage oder im Keller Das muss reichen, sagen sie und halten alles andere bei bester Ordnung. Sie finden, sie seien darin professionell, keine Massen entstehen zu lassen. Ich sehe meine Professionalität nicht darin, Massen zu verhindern, sondern darin, mit den Massen umgehen zu können. Wenn das nicht so wäre, fände ich es auch unerträglich.
Als der Kollege kurz darauf mit dem Telefonat fertig ist, habe ich auch alles gesehen, was es bei ihm zu sehen gibt.
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Seit langem mal wieder bin ich mit einem Kollegen zum Essen verabredet. Kurz nachdem ich sein Büro betrete, klingelt sein Telefon. Also muss ich warten oder die Gelegenheit nutzen, die ihm eigene, perfekt aufgeräumte Ordnung auf mich wirken zu lassen.
Schreibtisch, Regalfächer, Pinnwand … alles akkurat bestückt mit Post-its und Aufklebern deutlich markiert, sortiert und nummeriert. Farben und Zahlen weisen jedem Stapel, jedem Ordner eine eindeutige Stellung zu. Alles vom Vorteil bestimmt, jedes Teil sofort zu finden, nichts suchen zu müssen. Aber sind diese äußerst effektiven Handgriffe für alles wirklich das Beste? Ich versuche mir vorzustellen, wie man in so einem Raum kreativ sein kann. Ich versuche auszurechnen, wie viele Kartons es braucht, um mit so einem Arbeitsraum umzuziehen. Nicht viele, vielleicht neun. Was heißt nicht viele? Manche Menschen finden fünfzehn Kartons viel und sieben nicht viel. Ich habe vor zwei Jahren erfahren, dass ich neunzig Kartons brauche, um mit meinem Arbeitsraum umzuziehen. Hundert wären dann auch für mich viel gewesen. Vielleicht könnte man auf die Frage, was der Kollege für ein Mensch ist, sagen, so ein Neun-Karton-Typ. Und über mich? So ein Neunzig-Karton-Typ.
Ich liebe Massen und Sammlungen. Aber nicht jede Art von Massen. Sie brauchen nicht in Reih und Glied aufgereiht zu sein. Aber es ist schön, wenn Gleiches und Ähnliches nebeneinander liegen. Wie in musealen Vitrinen, in gut bestückten Werkstätten. Die Liebe für Massen dieser Arten und die Abneigung von Massen anderer Art liegen oft eng beieinander. Massen, die zu chaotisch, unberechenbar, undurchdringbar sind, irritieren mich auch. Wirkliches Durcheinander finde ich unausstehlich. Da, wo die Dinge sich gegenseitig stören, weil das eine am anderen kratzt, weil Scharfes mit Weichem, Leichtes mit Schwerem zu enge beieinander liegen und sich gegenseitig ramponieren.
Der Respekt vor den Dingen und ihrer Aufbewahrung gehört dazu. Nur so können Massen und Vorräte zum Reichtum werden, aus dem sich unzählige Sachen zaubern lassen. Dinge, die nicht ganz festgelegt, nicht komplett nur für eine bestimmte Aufgabe eingebunden sind, noch Spielraum haben.
Solche Vorräte bestehen bei mir aus gezeichneten Objekten auf Papier, mehr oder weniger sortiert, ausgeschnitten oder bereits aufgeklebt oder ganz lose. Figuren, Räume, Einrichtungen, Häuser, Wolken, Berge, Bäume. Daneben gibt es auch bedrucktes, gestempeltes und geschnittenen Papier. In Pappdeckeln sortiert lassen sich daraus Szenerien zusammenstellen. Das können Ausgangspunkte für Illustrationen, Karikaturen, Geschichten werden. Es ist eine geheimnisvolle Balance, nicht zu sehr festgelegt und dennoch kein willkürliches Durcheinander.
Beim Umgang mit Texten kann es ähnlich sein. Ich besitze sehr viele Notizen, als Karten, Zettel, aufrecht in Kartons aufgereiht, die sich verwerten lassen. Ich liebe Wortlisten und Wortreihen. Sie lassen sich auch sortieren oder wieder durcheinander würfeln. Aus ihnen lassen sich Texte machen und Sprachbasteleien oder Geschichten bauen, sie inspirieren. Ihr Überfluss bedeutet Reichtum.
Menschen fragen mich, wie ich mit dem Chaos klarkomme. Sie meinen, ich suche ständig. Ich sage, ich finde ständig. Manchmal suche auch ich etwas. Dann lasse ich mir Zeit. Das macht nichts, weil so viel anderes Brauchbares zum Vorschein kommt.
Freunde berichten mir, dass auch sie kleine Ecken besitzen, in denen die Masse leben darf. In kleinen Kammern, Schubladen, in der Garage oder im Keller Das muss reichen, sagen sie und halten alles andere bei bester Ordnung. Sie finden, sie seien darin professionell, keine Massen entstehen zu lassen. Ich sehe meine Professionalität nicht darin, Massen zu verhindern, sondern darin, mit den Massen umgehen zu können. Wenn das nicht so wäre, fände ich es auch unerträglich.
Als der Kollege kurz darauf mit dem Telefonat fertig ist, habe ich auch alles gesehen, was es bei ihm zu sehen gibt.