Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Fussball
RAU
„Stones. Sterling. Silva.“ Die Stimme des Reporters hat sich wieder beruhigt.
Zum wievielten Mal hört sie heute schon diese Namen, fragt sie sich und sieht hinüber zu Konrad, der regungslos auf seinem Sessel sitzt und auch auf den Bildschirm starrt. Achtzig Minuten sind gespielt.
„Jesus! Latte! Nicht zu fassen, die Blauen drücken jetzt stärker, der Ausgleich liegt in der Luft.“
Wie kann man einen Jungen nur Jesus nennt, denkt sie. Schon immer gab es Fußball in ihrem Leben, früher mit dem Vater vor dem Radio, vor dem Fernseher und sogar ab und an im Stadion. Dabei immer zu wissen, für wen man ist, denn Fußball verlangt Entschiedenheit auf und neben dem Platz, man kann nicht für keinen sein.
„Jetzt drücken die Roten, van Dijk, Henderson zu Thiago, der ist in der Form seines Lebens.“
Der Ball rollt von einem zum anderen, alle warten auf den entscheidenden Pass, Thiago ist wohl einer, der das kann. Die Bilder wechseln von Total- auf Nahaufnahmen, auf Spieler, Schiedsrichter, Trainer und Fans. Alle ganz nah, bei ihrer Arbeit, ihren Körpern und Gesichtern. Dazu die Fangesänge und Trommelrhythmen, ohrenbetäubend. Grüner Rasen mit weißen Linien, bewegliche bunte Werbebande dahinter.
„Thiago auf Saleh, der zu Mane … nein, Sterling grätscht dazwischen.“ Der Reporter schnappt hörbar nach Luft.
Die Spannung ist kaum auszuhalten. Halbfinale in Liverpool. Weit mehr als fünfzigtausend Fans im Stadion. Die Roten halten ihre Schals und singen wieder ihre Hymne ‚You never walk alone‘. Klopp ist ihr Held. Die Blauen singen auch, ihr Held ist Guardiola. Deutscher gegen Spanier in England. Eine eigene Welt. Für Charlotte eine Männerwelt, obwohl auch Frauen spielen, aber denen sieht sie nie zu. Fußball ist männlich, durch und durch. Nackte Beine und Arme, Tätowierungen auch im Gesicht, Bärte, scharf gezeichnete Scheitel, weiße Tönung auf schwarzen Haaren, viele Undercuts, Dreadlocks, Haarbänder, Zöpfe, der Nigerianer bei den Blauen trägt die Enden seiner krausen Haare hellbraun gefärbt.
„Sehen aus wie Fischstäbchen“, meint Konrad.
Obwohl ihr das Meiste optisch nicht gefällt, sieht sie genau hin. So viele junge Männer. So viel Kraft, Ausdauer, Können, Fleiß, Konzentration, immer an sich glauben, bis zur letzten Sekunde. Ein großer Augenschmaus, auch wenn der Ball mal nicht so rollt, wie er soll. Ein noch größerer, wenn das Spiel das Mühsame verliert und zur puren Schönheit wird. Ein Fest für die Sinne. Für sie und alle im Stadion und vor den Bildschirmen. ‚You never walk alone‘.
„Freistoß! Absolut verdient. Silva legt sich den Ball zurecht, passt auf de Bruyne, der zu Jesus, aber Alison hält auf der Linie, unglaublich.“ Die Stimme des Reporters überschlägt sich fast.
Gänsehaut nun auch bei ihr auf dem Sofa, Konrad leert sein Bier und wirkt zufrieden. Woche für Woche schaut er sich das an, das ganze Jahr über, immer wird irgendwo gespielt. Bundesliga, Pokal, Champions League, Euro League, Europa- und Weltmeisterschaft, Freundschafts- und Qualifikationsspiele, er teilt sich verschiedene Streaminganbieter, Dazn mit seinem Bruder, Sky mit einem Kollegen. Da hält man zusammen unter Männern.
„Tor. Toooor! Gündogan, unglaublich! Aus fünfundzwanzig Metern. Der Ausgleich.“
Jubel im Fanblock der Blauen, Gündogan rennt zu ihnen, seine Mitspieler hinterher, springen auf ihn, umarmen, küssen ihn. Die Kamera hält drauf. Guardiola im edlen schwarzen Rollkragenpullover ballt die Fäuste und springt in die Luft, schreit sich die Seele aus dem Leib. Ein Viertel des Stadions ist aus dem Häuschen, die Roten sind verstummt. Konrad steht auf und greift die leere Flasche.
Vielleicht ist es das, denkt sie und starrt auf den Bildschirm. Diese Emotionen. Männer, die sie zeigen. Lachen, Tränen, Ärger, Traurigkeit, Schmerz, Nähe. In aller Öffentlichkeit. Ihre hässlichen Tattoos und Frisuren, das viele Geld, die dunklen Geschäfte und Machenschaften, all das verblasst dahinter. Diese Gefühlspalette. Wann sieht sie das sonst bei ihnen, den Männern? Nur hier auf dem grünen Platz. Dazu diese Spannung. Ja, mein lieber Konrad, deshalb sitze ich auch heute Abend wieder neben dir.
„Jetzt noch eins nachlegen, kommt Jungs, noch fünf Minuten“, ruft er in diesem Moment, von unten bis oben gespannt wie ein Flitzebogen, „das schafft ihr.“
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RAU
„Stones. Sterling. Silva.“ Die Stimme des Reporters hat sich wieder beruhigt.
Zum wievielten Mal hört sie heute schon diese Namen, fragt sie sich und sieht hinüber zu Konrad, der regungslos auf seinem Sessel sitzt und auch auf den Bildschirm starrt. Achtzig Minuten sind gespielt.
„Jesus! Latte! Nicht zu fassen, die Blauen drücken jetzt stärker, der Ausgleich liegt in der Luft.“
Wie kann man einen Jungen nur Jesus nennt, denkt sie. Schon immer gab es Fußball in ihrem Leben, früher mit dem Vater vor dem Radio, vor dem Fernseher und sogar ab und an im Stadion. Dabei immer zu wissen, für wen man ist, denn Fußball verlangt Entschiedenheit auf und neben dem Platz, man kann nicht für keinen sein.
„Jetzt drücken die Roten, van Dijk, Henderson zu Thiago, der ist in der Form seines Lebens.“
Der Ball rollt von einem zum anderen, alle warten auf den entscheidenden Pass, Thiago ist wohl einer, der das kann. Die Bilder wechseln von Total- auf Nahaufnahmen, auf Spieler, Schiedsrichter, Trainer und Fans. Alle ganz nah, bei ihrer Arbeit, ihren Körpern und Gesichtern. Dazu die Fangesänge und Trommelrhythmen, ohrenbetäubend. Grüner Rasen mit weißen Linien, bewegliche bunte Werbebande dahinter.
„Thiago auf Saleh, der zu Mane … nein, Sterling grätscht dazwischen.“ Der Reporter schnappt hörbar nach Luft.
Die Spannung ist kaum auszuhalten. Halbfinale in Liverpool. Weit mehr als fünfzigtausend Fans im Stadion. Die Roten halten ihre Schals und singen wieder ihre Hymne ‚You never walk alone‘. Klopp ist ihr Held. Die Blauen singen auch, ihr Held ist Guardiola. Deutscher gegen Spanier in England. Eine eigene Welt. Für Charlotte eine Männerwelt, obwohl auch Frauen spielen, aber denen sieht sie nie zu. Fußball ist männlich, durch und durch. Nackte Beine und Arme, Tätowierungen auch im Gesicht, Bärte, scharf gezeichnete Scheitel, weiße Tönung auf schwarzen Haaren, viele Undercuts, Dreadlocks, Haarbänder, Zöpfe, der Nigerianer bei den Blauen trägt die Enden seiner krausen Haare hellbraun gefärbt.
„Sehen aus wie Fischstäbchen“, meint Konrad.
Obwohl ihr das Meiste optisch nicht gefällt, sieht sie genau hin. So viele junge Männer. So viel Kraft, Ausdauer, Können, Fleiß, Konzentration, immer an sich glauben, bis zur letzten Sekunde. Ein großer Augenschmaus, auch wenn der Ball mal nicht so rollt, wie er soll. Ein noch größerer, wenn das Spiel das Mühsame verliert und zur puren Schönheit wird. Ein Fest für die Sinne. Für sie und alle im Stadion und vor den Bildschirmen. ‚You never walk alone‘.
„Freistoß! Absolut verdient. Silva legt sich den Ball zurecht, passt auf de Bruyne, der zu Jesus, aber Alison hält auf der Linie, unglaublich.“ Die Stimme des Reporters überschlägt sich fast.
Gänsehaut nun auch bei ihr auf dem Sofa, Konrad leert sein Bier und wirkt zufrieden. Woche für Woche schaut er sich das an, das ganze Jahr über, immer wird irgendwo gespielt. Bundesliga, Pokal, Champions League, Euro League, Europa- und Weltmeisterschaft, Freundschafts- und Qualifikationsspiele, er teilt sich verschiedene Streaminganbieter, Dazn mit seinem Bruder, Sky mit einem Kollegen. Da hält man zusammen unter Männern.
„Tor. Toooor! Gündogan, unglaublich! Aus fünfundzwanzig Metern. Der Ausgleich.“
Jubel im Fanblock der Blauen, Gündogan rennt zu ihnen, seine Mitspieler hinterher, springen auf ihn, umarmen, küssen ihn. Die Kamera hält drauf. Guardiola im edlen schwarzen Rollkragenpullover ballt die Fäuste und springt in die Luft, schreit sich die Seele aus dem Leib. Ein Viertel des Stadions ist aus dem Häuschen, die Roten sind verstummt. Konrad steht auf und greift die leere Flasche.
Vielleicht ist es das, denkt sie und starrt auf den Bildschirm. Diese Emotionen. Männer, die sie zeigen. Lachen, Tränen, Ärger, Traurigkeit, Schmerz, Nähe. In aller Öffentlichkeit. Ihre hässlichen Tattoos und Frisuren, das viele Geld, die dunklen Geschäfte und Machenschaften, all das verblasst dahinter. Diese Gefühlspalette. Wann sieht sie das sonst bei ihnen, den Männern? Nur hier auf dem grünen Platz. Dazu diese Spannung. Ja, mein lieber Konrad, deshalb sitze ich auch heute Abend wieder neben dir.
„Jetzt noch eins nachlegen, kommt Jungs, noch fünf Minuten“, ruft er in diesem Moment, von unten bis oben gespannt wie ein Flitzebogen, „das schafft ihr.“