Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Fussball
WIE
„Gleich spielt Deutschland gegen Südkorea. Willst du auch gucken?“ Marianne legt sich die Kissen auf der Couch zurecht und sortiert die vielen Schälchen, die sie als Fernsehsnack vorbereitet hat.
Von Erwin kommt keine Reaktion. Ist er doch damit beschäftigt, seine Bleistifte zu spitzen, sechs Stück an der Zahl, von 3H, ganz hart, bis 3B, ganz weich. Jeder einzelne hat ein eigenes Einsatzgebiet: Schattierungen von Gesichtern mit 2H, hart, Faltenwurf bei wollig weichen Stoffen mit 2B, weich. 3B ist die ultimative Alternative für besondere Dunkelheiten, um die Dramatik einer Zeichnung noch einmal zu steigern.
Zehn Minuten später, das Spiel ist bereits im Gange. Erwin starrt auf den großen Bildschirm, während er noch überlegt, ob er etwas zu Mariannes lauten Kaugeräuschen sagen soll oder besser nicht. Er hört auch die Worte des Reporters, der bereits den Spielanfang mit ultimativen Formulierungen schmückt: „Die allerhöchste Konzentration ist unseren Spielern anzumerken … sie sind hoch motiviert, ganz darauf fokussiert, möglichst schnell einen Führungstreffer zu erzielen.“
Erwin schätzt das, was er gerade sieht, anders ein. Aber das behält er lieber für sich. Beschwert sich also nicht über die langweiligen Ballabgaben, die in vielen Fällen eher rückwärts gewandt sind, das geringe Laufpensum, das unentschlossene Hin und Her, das alles andere als torgefährlich ist.
Aber auch das erklärt der Reporter auf seine Art: „Erstmal Ruhe ins Spiel bringen, den Gegner kommen lassen, mit Kontermöglichkeiten selber gefährlich werden.“
Während Marianne überall vertane Chancen sieht, bereits drei Fouls an unseren Jungs identifiziert, die der Schiri allerdings übersehen hat, und immer weitere Verbesserungsvorschläge macht: „Mensch, über die Außenseiten nach vorne spielen und dann nach innen flanken.“
Erwin kann keine vertane Chancen, auch keinen raffiniert angelegten Spielaufbau erkennen. Wenn ein Ball von der Mittellinie in Zeitlupe sieben Meter übers Tor fliegt, weiß er nicht, warum das zeigen soll, wie torgefährlich unsere Jungs sind. Der Reporter sieht es aber so. So kann man es auch nennen, denkt Erwin, wenn elf Spieler den Ball unentschlossen hin und her schieben. Auch die Einschätzung des Bundestrainers fällt bei ihm etwas anders aus. Wenn dieser in der Pressekonferenzen den Kampfeswillen seiner Jungs betont, die es gar nicht erwarten können, gegen diese fantastische Mannschaft spielen zu dürfen, und dann noch nachlegt, wenn seine Jungs alles, was sie in den letzten Tagen im Training besprochen haben, auch umsetzen, nichts schiefgehen wird.
„Wenn alle alles richtig machen, kann nichts schief gehen!“, denkt Erwin. Manche verlieben sich in den Bundestrainer für solche Sätze, andere nicht.
Vom vorher Besprochenen lässt sich jetzt gerade auf dem Spielfeld nicht viel erkennen. Da wird geschubbelt, geschubst, eher gekullert und dahin geschossen, wo es am wenigsten gefährlich ist. Aber vielleicht kann Erwin als Laie das alles gar nicht richtig einschätzen. Vielleicht ist er einfach nicht in der Lage, die ganze Raffinesse, die ganzen verborgenen Talente zu spüren, die, wenn sie erst mal ihren Turbo einschalten, noch zum Vorschein kommen werden. Neunzig Minuten versucht er auf dieses Feuerwerk der Spielkunst zu hoffen, bis zur letzten Minute darauf zu vertrauen, dass es doch noch explosionsartig entsteht. So wie Marianne, der Reporter und der Bundestrainer es tun.
Ganz zum Schluss ist ist es still geworden im Wohnzimmer. Die Schälchen sind leer. Auch der Reporter ist jetzt wortkarg. Oben links auf dem Bildschirm ist zu lesen, zwei zu null für Südkorea. Deutschland ist draußen.
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„Gleich spielt Deutschland gegen Südkorea. Willst du auch gucken?“ Marianne legt sich die Kissen auf der Couch zurecht und sortiert die vielen Schälchen, die sie als Fernsehsnack vorbereitet hat.
Von Erwin kommt keine Reaktion. Ist er doch damit beschäftigt, seine Bleistifte zu spitzen, sechs Stück an der Zahl, von 3H, ganz hart, bis 3B, ganz weich. Jeder einzelne hat ein eigenes Einsatzgebiet: Schattierungen von Gesichtern mit 2H, hart, Faltenwurf bei wollig weichen Stoffen mit 2B, weich. 3B ist die ultimative Alternative für besondere Dunkelheiten, um die Dramatik einer Zeichnung noch einmal zu steigern.
Zehn Minuten später, das Spiel ist bereits im Gange. Erwin starrt auf den großen Bildschirm, während er noch überlegt, ob er etwas zu Mariannes lauten Kaugeräuschen sagen soll oder besser nicht. Er hört auch die Worte des Reporters, der bereits den Spielanfang mit ultimativen Formulierungen schmückt: „Die allerhöchste Konzentration ist unseren Spielern anzumerken … sie sind hoch motiviert, ganz darauf fokussiert, möglichst schnell einen Führungstreffer zu erzielen.“
Erwin schätzt das, was er gerade sieht, anders ein. Aber das behält er lieber für sich. Beschwert sich also nicht über die langweiligen Ballabgaben, die in vielen Fällen eher rückwärts gewandt sind, das geringe Laufpensum, das unentschlossene Hin und Her, das alles andere als torgefährlich ist.
Aber auch das erklärt der Reporter auf seine Art: „Erstmal Ruhe ins Spiel bringen, den Gegner kommen lassen, mit Kontermöglichkeiten selber gefährlich werden.“
Während Marianne überall vertane Chancen sieht, bereits drei Fouls an unseren Jungs identifiziert, die der Schiri allerdings übersehen hat, und immer weitere Verbesserungsvorschläge macht: „Mensch, über die Außenseiten nach vorne spielen und dann nach innen flanken.“
Erwin kann keine vertane Chancen, auch keinen raffiniert angelegten Spielaufbau erkennen. Wenn ein Ball von der Mittellinie in Zeitlupe sieben Meter übers Tor fliegt, weiß er nicht, warum das zeigen soll, wie torgefährlich unsere Jungs sind. Der Reporter sieht es aber so. So kann man es auch nennen, denkt Erwin, wenn elf Spieler den Ball unentschlossen hin und her schieben. Auch die Einschätzung des Bundestrainers fällt bei ihm etwas anders aus. Wenn dieser in der Pressekonferenzen den Kampfeswillen seiner Jungs betont, die es gar nicht erwarten können, gegen diese fantastische Mannschaft spielen zu dürfen, und dann noch nachlegt, wenn seine Jungs alles, was sie in den letzten Tagen im Training besprochen haben, auch umsetzen, nichts schiefgehen wird.
„Wenn alle alles richtig machen, kann nichts schief gehen!“, denkt Erwin. Manche verlieben sich in den Bundestrainer für solche Sätze, andere nicht.
Vom vorher Besprochenen lässt sich jetzt gerade auf dem Spielfeld nicht viel erkennen. Da wird geschubbelt, geschubst, eher gekullert und dahin geschossen, wo es am wenigsten gefährlich ist. Aber vielleicht kann Erwin als Laie das alles gar nicht richtig einschätzen. Vielleicht ist er einfach nicht in der Lage, die ganze Raffinesse, die ganzen verborgenen Talente zu spüren, die, wenn sie erst mal ihren Turbo einschalten, noch zum Vorschein kommen werden. Neunzig Minuten versucht er auf dieses Feuerwerk der Spielkunst zu hoffen, bis zur letzten Minute darauf zu vertrauen, dass es doch noch explosionsartig entsteht. So wie Marianne, der Reporter und der Bundestrainer es tun.
Ganz zum Schluss ist ist es still geworden im Wohnzimmer. Die Schälchen sind leer. Auch der Reporter ist jetzt wortkarg. Oben links auf dem Bildschirm ist zu lesen, zwei zu null für Südkorea. Deutschland ist draußen.