Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Früchtchen
RAU
Schon acht Kisten Beeren stehen an der Wand, nicht gerade wenig. Viel Arbeit, aber gut für die Kunden. Daneben Kisten mit Trauben, Zitronen, Orangen, Bananen, Äpfeln, Birnen, Tomaten, Pflaumen, Pfirsichen, Nektarien, Avocados und etliche mit Mischware. Die KollegInnen vom Vortrag sind nicht mehr vollständig zum Sortieren gekommen, das passiert häufig, wenn die Lieferung zu spät gekommen ist. Heute kommt sie in ungefähr zwei Stunden, die beiden Fahrer sind gerade los.
Also dann, Gummihandschuhe und Schürze anziehen, den Strahler an der Wand über dem Tisch anmachen, Schere, Messer, Küchenrolle und leere Plastikbehälter auf den Tisch stellen, große Plastiksäcke für den Verpackungsmüll an die Tische klemmen, leere Kisten aufklappen und los gehts.
Wie jeden Dienstag wird morgens ab halb neun sortiert. Sie wusste vorher nicht, wie mühsam das sein kann. Bananen, Äpfel, Birnen, Orangen und Zitronen gehen schnell, Trauben und Beeren, die vor allem, brauchen viel Geduld und Ausdauer. Packungen und Netze öffnen und nach den Übeltätern suchen und sie rausnehmen. So nennt sie mittlerweile die angestoßenen, angefaulten, nur leicht an- oder schon voll verschimmelten Früchtchen.
Ist es nicht wie im richtigen Leben, denkt sie oft. Da wächst und gedeihst du vorschriftsmäßig an Baum oder Strauch, wirst von Hand geerntet, mit Artgenossen verpackt und beschriftet, dann in Kisten per LKW, Bahn, Schiff und Flugzeug transportiert, am fremden Ort wieder ausgepackt, verteilt, in Regale gehoben und, weil nicht gekauft, wieder in Kisten gepackt und in Wägen transportiert. Machst alles richtig mit, liegst aber einfach zu lange neben dem Stinkstiefel, steckst dich nur deshalb an und wirst auch schlecht oder sogar faul. Einfach falsche Lage, wirst aussortiert, aus die Maus, Pech gehabt.
Im günstigsten Fall landest du in der Schweinekiste, dann haben zumindest noch die hungrigen Tiere was von dir, im schlimmsten Fall aber geht’s gleich in die Biotonne und da kannst du verrotten und dich langsam zu Dünger verwandeln. Das Leben als Frucht ist wirklich kein Zuckerschlecken. Nur zum Trost, Gemüse, Brot- und Backwaren, Blumen und anderen verderblichen Lebensmitteln geht es nicht besser.
Überall im Kirchenraum wird von fleißigen Händen sortiert, beschnitten und anschließend in neuen Kisten zusammengelegt. Vorne bei der Ausgabe sieht es appetitlich und ansprechend aus wie im Laden. Unmengen leerer Pappkisten und Verpackungen kommen in die großen Mülltonnen auf dem Vorplatz, ein seit Jahren gut eingespieltes Team arbeitet hier jeden Dienstag reibungslos und störungsfrei.
Puuh, gerade fertig geworden, schnell noch einen Kaffee in der Küche trinken, schon kommt die neue Lieferung. Wahnsinn, zehn Kisten Beeren noch eiskalt direkt aus der Kühlung, die können gleich rüber zur Ausgabe. Waren wohl zu viel geordert worden oder zu teuer im Laden, die heutigen Kunden werden sich freuen.
Mittlerweile sind mehr als die Hälfte von ihnen ukrainische Flüchtlinge. Ob die Kiwis, Avocados, Physalis, Mangos oder Sternenfrüchte von zuhause kennen? Oder ist die Frage unverschämt? Fest steht jedenfalls, dass sie weder über das Leben in der Ukraine noch über das in den Ländern, aus denen die meisten Früchte kommen, wirklich viel weiß, eigentlich fast nichts. Egal, einfach weiter Packungen aufreißen, sortieren und wegschmeißen. Seitdem sie hier mitarbeitet, isst sie eindeutig weniger Obst als davor, dass zumindest ist Fakt.
Am Abend dann gibt Konrad ihr einen dicken Kuss und fragt wieder mit seinem schelmischen Lächeln, das sie so liebt: „Na, du Früchtchen, wie viele Beeren waren es heute?“
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Früchtchen
RAU
Schon acht Kisten Beeren stehen an der Wand, nicht gerade wenig. Viel Arbeit, aber gut für die Kunden. Daneben Kisten mit Trauben, Zitronen, Orangen, Bananen, Äpfeln, Birnen, Tomaten, Pflaumen, Pfirsichen, Nektarien, Avocados und etliche mit Mischware. Die KollegInnen vom Vortrag sind nicht mehr vollständig zum Sortieren gekommen, das passiert häufig, wenn die Lieferung zu spät gekommen ist. Heute kommt sie in ungefähr zwei Stunden, die beiden Fahrer sind gerade los.
Also dann, Gummihandschuhe und Schürze anziehen, den Strahler an der Wand über dem Tisch anmachen, Schere, Messer, Küchenrolle und leere Plastikbehälter auf den Tisch stellen, große Plastiksäcke für den Verpackungsmüll an die Tische klemmen, leere Kisten aufklappen und los gehts.
Wie jeden Dienstag wird morgens ab halb neun sortiert. Sie wusste vorher nicht, wie mühsam das sein kann. Bananen, Äpfel, Birnen, Orangen und Zitronen gehen schnell, Trauben und Beeren, die vor allem, brauchen viel Geduld und Ausdauer. Packungen und Netze öffnen und nach den Übeltätern suchen und sie rausnehmen. So nennt sie mittlerweile die angestoßenen, angefaulten, nur leicht an- oder schon voll verschimmelten Früchtchen.
Ist es nicht wie im richtigen Leben, denkt sie oft. Da wächst und gedeihst du vorschriftsmäßig an Baum oder Strauch, wirst von Hand geerntet, mit Artgenossen verpackt und beschriftet, dann in Kisten per LKW, Bahn, Schiff und Flugzeug transportiert, am fremden Ort wieder ausgepackt, verteilt, in Regale gehoben und, weil nicht gekauft, wieder in Kisten gepackt und in Wägen transportiert. Machst alles richtig mit, liegst aber einfach zu lange neben dem Stinkstiefel, steckst dich nur deshalb an und wirst auch schlecht oder sogar faul. Einfach falsche Lage, wirst aussortiert, aus die Maus, Pech gehabt.
Im günstigsten Fall landest du in der Schweinekiste, dann haben zumindest noch die hungrigen Tiere was von dir, im schlimmsten Fall aber geht’s gleich in die Biotonne und da kannst du verrotten und dich langsam zu Dünger verwandeln. Das Leben als Frucht ist wirklich kein Zuckerschlecken. Nur zum Trost, Gemüse, Brot- und Backwaren, Blumen und anderen verderblichen Lebensmitteln geht es nicht besser.
Überall im Kirchenraum wird von fleißigen Händen sortiert, beschnitten und anschließend in neuen Kisten zusammengelegt. Vorne bei der Ausgabe sieht es appetitlich und ansprechend aus wie im Laden. Unmengen leerer Pappkisten und Verpackungen kommen in die großen Mülltonnen auf dem Vorplatz, ein seit Jahren gut eingespieltes Team arbeitet hier jeden Dienstag reibungslos und störungsfrei.
Puuh, gerade fertig geworden, schnell noch einen Kaffee in der Küche trinken, schon kommt die neue Lieferung. Wahnsinn, zehn Kisten Beeren noch eiskalt direkt aus der Kühlung, die können gleich rüber zur Ausgabe. Waren wohl zu viel geordert worden oder zu teuer im Laden, die heutigen Kunden werden sich freuen.
Mittlerweile sind mehr als die Hälfte von ihnen ukrainische Flüchtlinge. Ob die Kiwis, Avocados, Physalis, Mangos oder Sternenfrüchte von zuhause kennen? Oder ist die Frage unverschämt? Fest steht jedenfalls, dass sie weder über das Leben in der Ukraine noch über das in den Ländern, aus denen die meisten Früchte kommen, wirklich viel weiß, eigentlich fast nichts. Egal, einfach weiter Packungen aufreißen, sortieren und wegschmeißen. Seitdem sie hier mitarbeitet, isst sie eindeutig weniger Obst als davor, dass zumindest ist Fakt.
Am Abend dann gibt Konrad ihr einen dicken Kuss und fragt wieder mit seinem schelmischen Lächeln, das sie so liebt: „Na, du Früchtchen, wie viele Beeren waren es heute?“