Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog

Fertig
Beim Aufräumen seine Schublade unter einem der drei Schreibtische findet er einen Stempel, auf dem mit dicken Buchstaben FERTIG steht. Woher kam dieser Stempel? Sicher, er liebt Stempel, nicht, um sie ernsthaft zu gebrauchen, sondern weil sich damit interessante grafische Muster erzeugen lassen. Aber dieser Stempel lag bestimmt schon einige Jahre ungenutzt in der Schublade. Für seine vielen Zettel, auf denen er notiert, was alles zu erledigen ist, hat er ihn jedenfalls nicht benutzt.
Es gibt immer etwas zu tun: zuerst im Atelier, im Büro, in den Archiv-Regalen im Flur, im Keller, im Garten. Das ist normal, doch keines davon will er mit einem „Fertig“ abstempeln. Er ist nicht der Typ „Fertig“.
Ganz im Gegensatz zu seinem Bruder. Dessen Leben besteht vorrangig aus „Fertig“-Bekundungen. Die meisten Fotos, die er mit dem Handy an Verwandt- und Bekanntschaft schickt, sind mit der Bildunterschrift „Fertig“ versehen. Ergebnisse aus Küche und Backofen, kleinere bis mittlere Renovierungsarbeiten, perfekt beschriftete Aktenordner, leergeräumte Schreibtische. Bei ihm ist „Fertig“ ein Lebensinhalt. Dinge fertig machen, um anschließend die Ergebnisse rumzuschicken. Egal, ob es sich um polierte Autos, gemähten Rasen oder gekehrtes Herbstlaub handelt. Selbst gepackte Koffer vor Reisen oder die bereits Anfang Dezember verpackten Weihnachtsgeschenke sind eine Nachricht wert.
Vielleicht hat sich deshalb seine Frau irgendwann getrennt, nachdem die Kinder aus dem Haus waren. Sie ist nicht der Typ „Fertig“, beginnt lieber mehre Sachen auf einmal und freut sich über die Ideen und Projekte, mit denen sie beschäftigt ist und ihre Kreativität ausleben kann. Warum damit möglichst schnell fertig werden?
Vielleicht kam das alles nur, weil sie es früher so gelernt hatten: Erst die Sachen fertig machen, bei Schul- und Hausarbeiten, Vokabeln und Instrumente üben, die Schulsachen für den nächsten Tag zusammen suchen. Und erst, wenn alles fertig ist, kommen die schönen Dinge dran: Spielen im Garten, auf der Straße, dem Fußballplatz, Freibad, später dann Clique, Disko …
Sein Bruder ist dieser Devise bis heute treu geblieben. Er selbst nicht. Ihm macht seine Arbeit Spaß. „Fertig“, eher ein Verlust als sein Gewinn. Denn dann stellt sich schnell die Frage: „Und was nun? Nur etwas erledigen, um sich anschließen auf das Ausruhen zu freuen?
Nein, wenn er in seinem Atelier arbeitete, oder auch mit anderen Dingen im Haus beschäftigt war, dann vor allem darum, um etwas praktischer, besser zu machen. Um leichter und schneller mit seinen vielen Materialien, Stiften, Bildern und Vorlagen arbeiten zu können. Um mit hoher Intensität weiter machen, viele neue Ideen entstehen lassen zu können. Dabei vermied er das richtige Fertig werden. Hieß es doch, wieder bei Null anfangen. Am schönsten war es doch mitten drin.
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Fertig
Beim Aufräumen seine Schublade unter einem der drei Schreibtische findet er einen Stempel, auf dem mit dicken Buchstaben FERTIG steht. Woher kam dieser Stempel? Sicher, er liebt Stempel, nicht, um sie ernsthaft zu gebrauchen, sondern weil sich damit interessante grafische Muster erzeugen lassen. Aber dieser Stempel lag bestimmt schon einige Jahre ungenutzt in der Schublade. Für seine vielen Zettel, auf denen er notiert, was alles zu erledigen ist, hat er ihn jedenfalls nicht benutzt.
Es gibt immer etwas zu tun: zuerst im Atelier, im Büro, in den Archiv-Regalen im Flur, im Keller, im Garten. Das ist normal, doch keines davon will er mit einem „Fertig“ abstempeln. Er ist nicht der Typ „Fertig“.
Ganz im Gegensatz zu seinem Bruder. Dessen Leben besteht vorrangig aus „Fertig“-Bekundungen. Die meisten Fotos, die er mit dem Handy an Verwandt- und Bekanntschaft schickt, sind mit der Bildunterschrift „Fertig“ versehen. Ergebnisse aus Küche und Backofen, kleinere bis mittlere Renovierungsarbeiten, perfekt beschriftete Aktenordner, leergeräumte Schreibtische. Bei ihm ist „Fertig“ ein Lebensinhalt. Dinge fertig machen, um anschließend die Ergebnisse rumzuschicken. Egal, ob es sich um polierte Autos, gemähten Rasen oder gekehrtes Herbstlaub handelt. Selbst gepackte Koffer vor Reisen oder die bereits Anfang Dezember verpackten Weihnachtsgeschenke sind eine Nachricht wert.
Vielleicht hat sich deshalb seine Frau irgendwann getrennt, nachdem die Kinder aus dem Haus waren. Sie ist nicht der Typ „Fertig“, beginnt lieber mehre Sachen auf einmal und freut sich über die Ideen und Projekte, mit denen sie beschäftigt ist und ihre Kreativität ausleben kann. Warum damit möglichst schnell fertig werden?
Vielleicht kam das alles nur, weil sie es früher so gelernt hatten: Erst die Sachen fertig machen, bei Schul- und Hausarbeiten, Vokabeln und Instrumente üben, die Schulsachen für den nächsten Tag zusammen suchen. Und erst, wenn alles fertig ist, kommen die schönen Dinge dran: Spielen im Garten, auf der Straße, dem Fußballplatz, Freibad, später dann Clique, Disko …
Sein Bruder ist dieser Devise bis heute treu geblieben. Er selbst nicht. Ihm macht seine Arbeit Spaß. „Fertig“, eher ein Verlust als sein Gewinn. Denn dann stellt sich schnell die Frage: „Und was nun? Nur etwas erledigen, um sich anschließen auf das Ausruhen zu freuen?
Nein, wenn er in seinem Atelier arbeitete, oder auch mit anderen Dingen im Haus beschäftigt war, dann vor allem darum, um etwas praktischer, besser zu machen. Um leichter und schneller mit seinen vielen Materialien, Stiften, Bildern und Vorlagen arbeiten zu können. Um mit hoher Intensität weiter machen, viele neue Ideen entstehen lassen zu können. Dabei vermied er das richtige Fertig werden. Hieß es doch, wieder bei Null anfangen. Am schönsten war es doch mitten drin.