Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Einen Moment bitte
WIE
Kurz überlege ich, wie es früher war, als die Menschen ihren Blick nicht ausschließlich auf Bildschirme richteten, und kann mich allerdings kaum noch daran erinnern, ob es damals auch schon hieß: einen Moment bitte, um dann den anderen beim Blättern in Aktenordnern, Krankenakten oder sonstigen Nachschlagewerken warten zu lassen.
Jedenfalls nicht so wie heute, wo fast jeder wichtige Kontakt mit dem Blick in den Computer beginnt, und ich überhaupt nicht weiß, worum es gerade geht. Zum Beispiel in Apotheken, da wird heute das Rezept entgegengenommen und dann beginnt eine lange und geheimnisvolle Recherche hinter dem Monitor des Computers. Selbst wenn ich nur ein Allerweltsmedikament brauche, scheint es dennoch kompliziert zu sein. Es wird getippt, gescrollt, der Blick fährt den Bildschirm rauf und runter. Warum das alles nötig ist, kann ich nur erahnen, dem Gesicht der Apothekerin nach zu urteilen ist es aber äußerst wichtig.
Nicht viel anders in Buchhandlungen, Heimwerker- und Elektronikmärkten oder sonstigen Fachgeschäften, wo es die angeblich so geliebte Fachberatung noch gibt. Und falls ich dort auch mal eine Frage habe, wandert der Blick sofort wieder auf einen Monitor, und ich stehe wartend daneben, sicherlich nur einen winzigen Moment, hoffe ich. Doch falls ich dann doch noch etwas sagen oder fragen will, keine Chance. Mich scheint es nicht mehr zu geben, während der Recherche unterhält sich die Fachberatung lieber mit dem vertrauten Computerprogramm. Bis ich dann das Ergebnis seiner stillen Unterredung zu hören bekomme: „Gibt’s nicht mehr, leider nicht lieferbar.“
Genauso beim persönlichen Arztbesuch, während ich noch meine Beschwerden vorzubringen versuche, ist die Fachärztin mit meiner Krankenakte im Computer beschäftigt. Bisherige Krankengeschichte, Vorsorgeuntersuchungen, Laborergebnisse, Medikamentenverschreibung. Die digitale Akte weiß bestens über mich Bescheid, was sollen da meine stammelnden Selbstdiagnoseversuche, wenn sie alle relevanten Daten am Monitor ablesen kann.
Einen Moment bitte heißt es, und es ist eine Selbstverständlichkeit, diese konzentrierte Abwesenheit zu ertragen. Dabei kann ich mir noch nicht mal sicher sein, ob mein Gegenüber nicht mit etwas ganz anderem beschäftigt ist, mit der Akte des vorgehenden Kunden oder Patienten, mit einer privaten Recherche, schnell mal einen Termin online buchen, ein paar persönliche Nachrichten lesen, eine Bestellung fürs Mittagessen aufgeben. Das sieht alles gleich aus, und an der Mimik lässt sich nichts ablesen, falls ich das Gesicht überhaupt sehe.
Ich frage mich, ob ich der Einzige bin, der diese Form der Ignoranz schmerzhaft und beleidigend findet, wenn es heißt, „einen Moment bitte“, und dieser womöglich eine Ewigkeit dauert. Aber vielleicht bin ich auch nur der kleine verwöhnte Junge, der früher zuhause zu viel Aufmerksamkeit bekam. Da sind die Kinder von heute besser auf das digitale Zeitalter vorbereitet. Die Eltern sind sowieso die meiste Zeit mit ihrem Handy beschäftigt und signalisieren deutlich, es gibt Wichtigeres als den Kontakt zum Kind. Und letztlich dient es ja auch dem Wohle des Kindes, irgendwie jedenfalls. Wenn man andere Termine checkt, Fahrpläne, Navigationen oder das Wetter studiert, Rezepte vergleicht oder nach ein paar neuen Gummistiefeln schaut, die die Kleinen so dringend brauchen.
Aber es wird nur noch wenige Jahre oder Monate dauern, bis die Kinder selber ein Smartphone in den Händen halten und sie die Eltern einfach warten lassen, wenn die dann eine Frage haben.
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Einen Moment bitte
WIE
Kurz überlege ich, wie es früher war, als die Menschen ihren Blick nicht ausschließlich auf Bildschirme richteten, und kann mich allerdings kaum noch daran erinnern, ob es damals auch schon hieß: einen Moment bitte, um dann den anderen beim Blättern in Aktenordnern, Krankenakten oder sonstigen Nachschlagewerken warten zu lassen.
Jedenfalls nicht so wie heute, wo fast jeder wichtige Kontakt mit dem Blick in den Computer beginnt, und ich überhaupt nicht weiß, worum es gerade geht. Zum Beispiel in Apotheken, da wird heute das Rezept entgegengenommen und dann beginnt eine lange und geheimnisvolle Recherche hinter dem Monitor des Computers. Selbst wenn ich nur ein Allerweltsmedikament brauche, scheint es dennoch kompliziert zu sein. Es wird getippt, gescrollt, der Blick fährt den Bildschirm rauf und runter. Warum das alles nötig ist, kann ich nur erahnen, dem Gesicht der Apothekerin nach zu urteilen ist es aber äußerst wichtig.
Nicht viel anders in Buchhandlungen, Heimwerker- und Elektronikmärkten oder sonstigen Fachgeschäften, wo es die angeblich so geliebte Fachberatung noch gibt. Und falls ich dort auch mal eine Frage habe, wandert der Blick sofort wieder auf einen Monitor, und ich stehe wartend daneben, sicherlich nur einen winzigen Moment, hoffe ich. Doch falls ich dann doch noch etwas sagen oder fragen will, keine Chance. Mich scheint es nicht mehr zu geben, während der Recherche unterhält sich die Fachberatung lieber mit dem vertrauten Computerprogramm. Bis ich dann das Ergebnis seiner stillen Unterredung zu hören bekomme: „Gibt’s nicht mehr, leider nicht lieferbar.“
Genauso beim persönlichen Arztbesuch, während ich noch meine Beschwerden vorzubringen versuche, ist die Fachärztin mit meiner Krankenakte im Computer beschäftigt. Bisherige Krankengeschichte, Vorsorgeuntersuchungen, Laborergebnisse, Medikamentenverschreibung. Die digitale Akte weiß bestens über mich Bescheid, was sollen da meine stammelnden Selbstdiagnoseversuche, wenn sie alle relevanten Daten am Monitor ablesen kann.
Einen Moment bitte heißt es, und es ist eine Selbstverständlichkeit, diese konzentrierte Abwesenheit zu ertragen. Dabei kann ich mir noch nicht mal sicher sein, ob mein Gegenüber nicht mit etwas ganz anderem beschäftigt ist, mit der Akte des vorgehenden Kunden oder Patienten, mit einer privaten Recherche, schnell mal einen Termin online buchen, ein paar persönliche Nachrichten lesen, eine Bestellung fürs Mittagessen aufgeben. Das sieht alles gleich aus, und an der Mimik lässt sich nichts ablesen, falls ich das Gesicht überhaupt sehe.
Ich frage mich, ob ich der Einzige bin, der diese Form der Ignoranz schmerzhaft und beleidigend findet, wenn es heißt, „einen Moment bitte“, und dieser womöglich eine Ewigkeit dauert. Aber vielleicht bin ich auch nur der kleine verwöhnte Junge, der früher zuhause zu viel Aufmerksamkeit bekam. Da sind die Kinder von heute besser auf das digitale Zeitalter vorbereitet. Die Eltern sind sowieso die meiste Zeit mit ihrem Handy beschäftigt und signalisieren deutlich, es gibt Wichtigeres als den Kontakt zum Kind. Und letztlich dient es ja auch dem Wohle des Kindes, irgendwie jedenfalls. Wenn man andere Termine checkt, Fahrpläne, Navigationen oder das Wetter studiert, Rezepte vergleicht oder nach ein paar neuen Gummistiefeln schaut, die die Kleinen so dringend brauchen.
Aber es wird nur noch wenige Jahre oder Monate dauern, bis die Kinder selber ein Smartphone in den Händen halten und sie die Eltern einfach warten lassen, wenn die dann eine Frage haben.