Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Eigentlich
RAU
Dirk war ein guter Freund, der mit schöner Regelmäßigkeit beinahe jeden Satz genau mit diesem Wort begann. Eigentlich sollte man bei diesem schönen Wetter rausgehen, eigentlich möchte ich einen Tanzkurs machen, eigentlich müsste man jetzt in Aktien investieren.
Immerzu begann er mit diesem Wort, dass ich schon kurz davor war, mit die Ohren zuzuhalten, sobald er anfing zu reden.
„Und warum machst du es dann nicht?“, fragte ich ihn manchmal.
Doch das war wohl zu direkt für seinen Geschmack, denn er zog meist nur seine Augenbrauen hoch und meinte ziemlich schnippisch. „Du wieder.“
Ja, ich stehe mit diesem Wort auf Kriegsfuß. Es ist für mich nicht Fisch nicht Fleisch, nicht Hop oder Top und rangiert auf der Notenskala bei einer mich ermüdenden Vier minus. Weil es mir immer vormacht, es gäbe jetzt noch eine ganz andere Alternative, die zudem sehr wahrscheinlich auch noch die Bessere wäre. Fragt sich nur, warum sich mein Freund nicht gleich dafür entschieden hat. Entscheidungsschwach sei er, meinte Charlotte und nannte ihn, natürlich nur wenn wir unter uns waren, dein Herr Eigentlich.
Natürlich ist es nicht leicht, sich immerzu zu entscheiden. Zwanzig- bis fünfunddreißigtausend Entscheidungen treffen wir jeden Tag, das kann einem natürlich schnell zu viel werden. Viele schlaue Ratgeber wissen Hilfe. Scheibchen-Methode, Perspektivwechsel, Worst-Case-Analyse, 10-10-10-Methode (was denke ich in zehn Minuten, zehn Monaten, zehn Jahren darüber), Pro- und Contra-Liste, in sich Hineinhören. Kuriose Tipps gibt es auch: eine volle Harnblase kann zu besseren Entscheidungen führen, auch im Dunkeln, im Stehen, ausgeschlafen und bei guter Laune greifen wir Menschen zu klüger wirkenden Optionen.
Haben alle diese 'Damen und Herren Eigentlich' vielleicht nur Angst vor den Konsequenzen ihres Handelns? Aber lieber akzeptiere ich es doch hin und wieder Fehler zu machen, als ständig mit einem halbgaren Eigentlich nicht wirklich zu dem zu stehen, was ich tue. Wie habe ich meinen Freund denn damals wahrgenommen? Als einen irgendwie lauen Mann, der sich selten dort richtig fand, wo er war. Von dem ich im Laufe der Jahre immer weniger wusste, was er denkt und wofür er steht, und der sich jederzeit alle Türen offenhielt. Aber auch als einen Wichtigtuer, der mit seinen regelmäßigen Eigentlich-Satzanfängen immer nur betonte, dass er noch sehr viele andere Möglichkeiten hätte und wie wichtig und begehrt er doch ist.
„Ja, eigentlich wäre es prima, gemeinsam auf die Tagung zu fahren“, sagte Dirk bei unserem letzten Treffen.
„Und fahren wir zusammen hin?“, fragte ich ihn ziemlich unwirsch.
„Ich sage Dir noch Bescheid“, meinte er.
Es war der letzte Satz, den ich von ihm hörte, denn er fuhr weder mit mir zur Tagung, noch tauchte er überhaupt während der drei Tage dort auf. Er hatte wohl Besseres zu tun. Pech gehabt, ohne mich, dachte ich, denn ich kann mich sehr schnell entscheiden und genoss abends an der Hotelbar meinen Whiskey Sour und die Gespräche mit meinen KollegenInnen. Gemeldet habe ich mich seitdem nie mehr bei ihm.
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Eigentlich
RAU
Dirk war ein guter Freund, der mit schöner Regelmäßigkeit beinahe jeden Satz genau mit diesem Wort begann. Eigentlich sollte man bei diesem schönen Wetter rausgehen, eigentlich möchte ich einen Tanzkurs machen, eigentlich müsste man jetzt in Aktien investieren.
Immerzu begann er mit diesem Wort, dass ich schon kurz davor war, mit die Ohren zuzuhalten, sobald er anfing zu reden.
„Und warum machst du es dann nicht?“, fragte ich ihn manchmal.
Doch das war wohl zu direkt für seinen Geschmack, denn er zog meist nur seine Augenbrauen hoch und meinte ziemlich schnippisch. „Du wieder.“
Ja, ich stehe mit diesem Wort auf Kriegsfuß. Es ist für mich nicht Fisch nicht Fleisch, nicht Hop oder Top und rangiert auf der Notenskala bei einer mich ermüdenden Vier minus. Weil es mir immer vormacht, es gäbe jetzt noch eine ganz andere Alternative, die zudem sehr wahrscheinlich auch noch die Bessere wäre. Fragt sich nur, warum sich mein Freund nicht gleich dafür entschieden hat. Entscheidungsschwach sei er, meinte Charlotte und nannte ihn, natürlich nur wenn wir unter uns waren, dein Herr Eigentlich.
Natürlich ist es nicht leicht, sich immerzu zu entscheiden. Zwanzig- bis fünfunddreißigtausend Entscheidungen treffen wir jeden Tag, das kann einem natürlich schnell zu viel werden. Viele schlaue Ratgeber wissen Hilfe. Scheibchen-Methode, Perspektivwechsel, Worst-Case-Analyse, 10-10-10-Methode (was denke ich in zehn Minuten, zehn Monaten, zehn Jahren darüber), Pro- und Contra-Liste, in sich Hineinhören. Kuriose Tipps gibt es auch: eine volle Harnblase kann zu besseren Entscheidungen führen, auch im Dunkeln, im Stehen, ausgeschlafen und bei guter Laune greifen wir Menschen zu klüger wirkenden Optionen.
Haben alle diese 'Damen und Herren Eigentlich' vielleicht nur Angst vor den Konsequenzen ihres Handelns? Aber lieber akzeptiere ich es doch hin und wieder Fehler zu machen, als ständig mit einem halbgaren Eigentlich nicht wirklich zu dem zu stehen, was ich tue. Wie habe ich meinen Freund denn damals wahrgenommen? Als einen irgendwie lauen Mann, der sich selten dort richtig fand, wo er war. Von dem ich im Laufe der Jahre immer weniger wusste, was er denkt und wofür er steht, und der sich jederzeit alle Türen offenhielt. Aber auch als einen Wichtigtuer, der mit seinen regelmäßigen Eigentlich-Satzanfängen immer nur betonte, dass er noch sehr viele andere Möglichkeiten hätte und wie wichtig und begehrt er doch ist.
„Ja, eigentlich wäre es prima, gemeinsam auf die Tagung zu fahren“, sagte Dirk bei unserem letzten Treffen.
„Und fahren wir zusammen hin?“, fragte ich ihn ziemlich unwirsch.
„Ich sage Dir noch Bescheid“, meinte er.
Es war der letzte Satz, den ich von ihm hörte, denn er fuhr weder mit mir zur Tagung, noch tauchte er überhaupt während der drei Tage dort auf. Er hatte wohl Besseres zu tun. Pech gehabt, ohne mich, dachte ich, denn ich kann mich sehr schnell entscheiden und genoss abends an der Hotelbar meinen Whiskey Sour und die Gespräche mit meinen KollegenInnen. Gemeldet habe ich mich seitdem nie mehr bei ihm.