Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Dreimal Leben
RAU
Wir waren drei Kinder zuhause, ich bin die Mittlere. Uns hat es nie an etwas gefehlt, wir sind jeden Sommer drei Wochen an die See gefahren. Die Schule habe ich erwartungsgemäß abgeschlossen, anschließend studiert inclusive einem Auslandssemester in England, nach drei oder vier Männer habe ich Peter kennengelernt und geheiratet. Drei Söhne, einen einigermaßen interessanten Job als Biologin und eine Doppelhaushälfte mit Garten, mein Leben ist gut ausgefüllt. Zehn Jahre werde ich noch arbeiten, dann werden die Jungs auch hoffentlich mit ihren Ausbildungen fertig sein. Wer weiß, was dann kommt.
Als Mittlere von drei Kindern war es wahrlich kein Zuckerschlecken, immer musste ich mich gegen die beiden Brüder wehren. Ich habe getan, was von mir erwartet wurde, und alles andere zur Seite geschoben. Leider sage ich heute. Irgendwie komme ich mir vor wie im falschen Leben, nämlich in dem, welches sich meine Eltern von mir gewünscht haben. Natürlich bin ich froh, dass Peter immer noch mit dabei oder neben mir ist. Wir sprechen nicht soviel miteinander und erst recht nicht über uns, haben uns einfach eingerichtet in unserem Leben. Immer wieder helfen mir verschiedene Pillen dabei, alles zu schaffen, Stimmungsaufheller genauso wie was zur Beruhigung. Leider stopfe ich viel Süßes in mich hinein. Peter sagt zum Glück nichts dazu. Was soll noch kommen? Wir beide reden so gut wie nie darüber, und ich alleine traue mich gar nicht darüber nachzudenken. Irgendwie fehlen mir meine Eltern, die immer genau wussten, was gut für mich ist, aber nun sind beide alt und dement.
Zuhause war ich als einziges Mädchen vielleicht doch immer der kleine heimliche Star. Leider bin ich das schon lange nicht mehr, für meinen Mann und meine drei Söhne bin ich die allseits verlässliche Hanna und die immer liebende Mama. Für meinen Chef die stets wache Stellvertreterin, für meine ‚beste‘ Freundin die kluge Zuhörerin. Doch eigentlich möchte ich gerne mal raus aus allem, alles hinschmeißen, zumindest für eine ziemliche Weile. Mann, Söhne, Job, Doppelhaus, Garten und Freundinnen tschüss sagen und irgendwo anders neu beginnen. Am liebsten in einem überschaubaren Städtchen am Meer aufschlagen und erstmal durchatmen. Irgendeinen Job im Homeoffice machen, stundenweise in einem Obst- und Gemüseladen mitarbeiten, mich engagieren im Naturschutz. Alleine wohnen mit täglichem Blick auf Sand, Wasser und Himmel. Neue Menschen kennenlernen und niemandem berichten müssen. Endlich wieder tanzen und singen gehen, wieder flirten und berühren. Neues entdecken, mich füllen und dann weitersehen. Irgendwie wieder leben.
Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Dreimal Leben
RAU
Wir waren drei Kinder zuhause, ich bin die Mittlere. Uns hat es nie an etwas gefehlt, wir sind jeden Sommer drei Wochen an die See gefahren. Die Schule habe ich erwartungsgemäß abgeschlossen, anschließend studiert inclusive einem Auslandssemester in England, nach drei oder vier Männer habe ich Peter kennengelernt und geheiratet. Drei Söhne, einen einigermaßen interessanten Job als Biologin und eine Doppelhaushälfte mit Garten, mein Leben ist gut ausgefüllt. Zehn Jahre werde ich noch arbeiten, dann werden die Jungs auch hoffentlich mit ihren Ausbildungen fertig sein. Wer weiß, was dann kommt.
Als Mittlere von drei Kindern war es wahrlich kein Zuckerschlecken, immer musste ich mich gegen die beiden Brüder wehren. Ich habe getan, was von mir erwartet wurde, und alles andere zur Seite geschoben. Leider sage ich heute. Irgendwie komme ich mir vor wie im falschen Leben, nämlich in dem, welches sich meine Eltern von mir gewünscht haben. Natürlich bin ich froh, dass Peter immer noch mit dabei oder neben mir ist. Wir sprechen nicht soviel miteinander und erst recht nicht über uns, haben uns einfach eingerichtet in unserem Leben. Immer wieder helfen mir verschiedene Pillen dabei, alles zu schaffen, Stimmungsaufheller genauso wie was zur Beruhigung. Leider stopfe ich viel Süßes in mich hinein. Peter sagt zum Glück nichts dazu. Was soll noch kommen? Wir beide reden so gut wie nie darüber, und ich alleine traue mich gar nicht darüber nachzudenken. Irgendwie fehlen mir meine Eltern, die immer genau wussten, was gut für mich ist, aber nun sind beide alt und dement.
Zuhause war ich als einziges Mädchen vielleicht doch immer der kleine heimliche Star. Leider bin ich das schon lange nicht mehr, für meinen Mann und meine drei Söhne bin ich die allseits verlässliche Hanna und die immer liebende Mama. Für meinen Chef die stets wache Stellvertreterin, für meine ‚beste‘ Freundin die kluge Zuhörerin. Doch eigentlich möchte ich gerne mal raus aus allem, alles hinschmeißen, zumindest für eine ziemliche Weile. Mann, Söhne, Job, Doppelhaus, Garten und Freundinnen tschüss sagen und irgendwo anders neu beginnen. Am liebsten in einem überschaubaren Städtchen am Meer aufschlagen und erstmal durchatmen. Irgendeinen Job im Homeoffice machen, stundenweise in einem Obst- und Gemüseladen mitarbeiten, mich engagieren im Naturschutz. Alleine wohnen mit täglichem Blick auf Sand, Wasser und Himmel. Neue Menschen kennenlernen und niemandem berichten müssen. Endlich wieder tanzen und singen gehen, wieder flirten und berühren. Neues entdecken, mich füllen und dann weitersehen. Irgendwie wieder leben.