Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Dranbleiben
RAU
Nachdem das Gespräch mit Anna zu Ende ist, raucht ihr noch lange der Kopf. Keine Frage, ihrer Tochter geht es gut, und das ist das Wichtigste. Bei ihren beiden Jüngeren hofft sie es, aber genau weiß sie es nicht. Doch ihre Älteste geht ihren Weg. Hat sie immer schon gemacht, und war deshalb auch lange Zeit ein anstrengendes Kind und eine noch viel anstrengendere Jugendliche. Setzte ihren Kopf auf Biegen und Brechen durch, komme was wolle. Nachdem sie gleich nach dem Abi ausgezogen war, kehrte erst einmal, vielleicht auch zum allerersten Mal so etwas wie Ruhe, fast Stille im Familienleben ein.
Was Anna ihr gerade alles erzählt hat in den knapp fünf Minuten, die sie Zeit hatte für das Telefonat! Fulltimejob mit mindestens zehn Überstunden die Woche, dafür auch Aussicht auf Beförderung zum Jahresende. Mache alles sogar Spaß und scheint sie nicht anzustrengen. Weiterhin Fernbeziehung mit Kaspar über immerhin fast sechshundert. Ach Mama, es gibt Homeoffice, Bahn und Zoom, sagte Anna nur, als sie wohl etwas hörbar schnaubte, dass immer noch keine Änderung an dieser Situation in Aussicht steht. Denn Kaspar mag sie sehr und hofft, ja natürlich hofft sie, dass die beiden zusammenbleiben. Sie hat ein wirklich gutes Gefühl bei ihnen. Was Anna sonst noch alles macht! Gestern war sie im Kino, zweimal die Woche zum Sport, nächstes Wochenende mit zwei Freundinnen schnell mal nach Kopenhagen. Klingt alles nach Overdrive. Sie scheint mit fünf Stunden Schlaf auszukommen.
„Nur nichts auslassen, oder?“, hat Charlotte vielleicht etwas zu schnell eingeworfen.
„Du warst bestimmt nicht anders, von Papa hab‘ ich es wohl eher nicht.“
„Wirklich? Na, wenn Du meinst“
„Jetzt bin ich jung und hab die Energie, mach‘ Dir keinen Kopf. Was steht bei Euch am Wochenende an?"
„Ach nix Besonderes, vielleicht fahren wir am Sonntag mal raus“, antwortete Charlotte und biss sich fast auf die Lippen.
So eine dröge Antwort, denkt sie noch immer, aber verglichen zu früher ist das ja nun wirklich ein überschaubares Programm. Und Anna wird schon Recht haben. Früher hat sie auch alles mitgenommen, was ging. Nur nicht bei Liebesdingen, da blieb sie eher zurückhaltend und traf dann Konrad. Hoffentlich kommt ihre Tochter auch in diesem Punkt nach ihr. Lieber einen Kaspar, auch wenn er weit weg ist, als niemand oder einen, der Stress macht.
Von ihren beiden anderen Kindern weiß sie wirklich wenig. Max meldet sich nur noch sporadisch und Cara geizt nahezu mit Informationen zu ihrem derzeitigen Leben, trifft sich auch eher mit Konrad, er scheint nicht so viele Fragen zu stellen. Herrje, das Leben erfindet sich doch alle paar Jahre wieder neu. Vom ‚Nur nichts auslassen‘ ist es bei ihr nun ehr zu ‚Hin und wieder‘ und ‚Ab und zu‘ mutiert. Aber egal, Hauptsache dranbleiben. Mit den Kindern, mit dem Mann und sich selbst.
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Dranbleiben
RAU
Nachdem das Gespräch mit Anna zu Ende ist, raucht ihr noch lange der Kopf. Keine Frage, ihrer Tochter geht es gut, und das ist das Wichtigste. Bei ihren beiden Jüngeren hofft sie es, aber genau weiß sie es nicht. Doch ihre Älteste geht ihren Weg. Hat sie immer schon gemacht, und war deshalb auch lange Zeit ein anstrengendes Kind und eine noch viel anstrengendere Jugendliche. Setzte ihren Kopf auf Biegen und Brechen durch, komme was wolle. Nachdem sie gleich nach dem Abi ausgezogen war, kehrte erst einmal, vielleicht auch zum allerersten Mal so etwas wie Ruhe, fast Stille im Familienleben ein.
Was Anna ihr gerade alles erzählt hat in den knapp fünf Minuten, die sie Zeit hatte für das Telefonat! Fulltimejob mit mindestens zehn Überstunden die Woche, dafür auch Aussicht auf Beförderung zum Jahresende. Mache alles sogar Spaß und scheint sie nicht anzustrengen. Weiterhin Fernbeziehung mit Kaspar über immerhin fast sechshundert. Ach Mama, es gibt Homeoffice, Bahn und Zoom, sagte Anna nur, als sie wohl etwas hörbar schnaubte, dass immer noch keine Änderung an dieser Situation in Aussicht steht. Denn Kaspar mag sie sehr und hofft, ja natürlich hofft sie, dass die beiden zusammenbleiben. Sie hat ein wirklich gutes Gefühl bei ihnen. Was Anna sonst noch alles macht! Gestern war sie im Kino, zweimal die Woche zum Sport, nächstes Wochenende mit zwei Freundinnen schnell mal nach Kopenhagen. Klingt alles nach Overdrive. Sie scheint mit fünf Stunden Schlaf auszukommen.
„Nur nichts auslassen, oder?“, hat Charlotte vielleicht etwas zu schnell eingeworfen.
„Du warst bestimmt nicht anders, von Papa hab‘ ich es wohl eher nicht.“
„Wirklich? Na, wenn Du meinst“
„Jetzt bin ich jung und hab die Energie, mach‘ Dir keinen Kopf. Was steht bei Euch am Wochenende an?"
„Ach nix Besonderes, vielleicht fahren wir am Sonntag mal raus“, antwortete Charlotte und biss sich fast auf die Lippen.
So eine dröge Antwort, denkt sie noch immer, aber verglichen zu früher ist das ja nun wirklich ein überschaubares Programm. Und Anna wird schon Recht haben. Früher hat sie auch alles mitgenommen, was ging. Nur nicht bei Liebesdingen, da blieb sie eher zurückhaltend und traf dann Konrad. Hoffentlich kommt ihre Tochter auch in diesem Punkt nach ihr. Lieber einen Kaspar, auch wenn er weit weg ist, als niemand oder einen, der Stress macht.
Von ihren beiden anderen Kindern weiß sie wirklich wenig. Max meldet sich nur noch sporadisch und Cara geizt nahezu mit Informationen zu ihrem derzeitigen Leben, trifft sich auch eher mit Konrad, er scheint nicht so viele Fragen zu stellen. Herrje, das Leben erfindet sich doch alle paar Jahre wieder neu. Vom ‚Nur nichts auslassen‘ ist es bei ihr nun ehr zu ‚Hin und wieder‘ und ‚Ab und zu‘ mutiert. Aber egal, Hauptsache dranbleiben. Mit den Kindern, mit dem Mann und sich selbst.