Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Die bessere Hälfte
RAU
Steht das wirklich da? Als Überschrift eines Artikels in ihrer Lieblingszeitung? Sie glaubt es nicht und denkt sofort an den früheren Klassiker: „Darf ich Ihnen meine bessere Hälfte vorstellen?“ Schrecklich, ganz und gar unmöglich. Wird heute hoffentlich nie mehr gesagt. Was früher so frauenfreundlich daherkam … ach, geschenkt. Ihr Vater hat es wer weiß wie oft gesagt und dabei auch noch gerne Mama vor anderen leicht auf den Popo geklopft. Zum Glück vorbei, hoffentlich. Denn man weiß ja mittlerweile nie in diesen veränderten Zeiten, was an Altem sich da wieder breitmacht. Schluss damit, sie klappt ihr Tablet zu, es gibt Wichtigeres für den heutigen Tag.
Aber ihr Kopf will nicht ruhen, selbst als sie aufsteht und das Frühstück vorbereitet, heute am Samstag ist sie dran, geht ihr diese merkwürdige Formulierung nicht aus dem Sinn. Wie oft denken wir nicht in zwei Hälften? Vielleicht sogar gleich beim gemeinsamen Frühstück, wenn Konrad ihr dann den Korb reicht mit den von ihm aufgeschnittenen Brötchen, nimmt sie dann nicht doch zuerst lieber die obere Hälfte des Roggenbrötchens? Sie scheint ihr immer ein bisschen knuspriger von außen und innen weicher.
Während sie Teewasser aufsetzt, den Tisch deckt, die Lebensmittel aus dem Kühlschrank holt, arbeitet es weiter in ihr. Was wird wohl in dem Artikel stehen? Was soll sie anfangen mit diesem Begriff? Dieses ewige Bewerten von Allem und Jedem geht ihr sowieso schon seit Langem auf den Keks, aber sie tut sich natürlich leicht, dass zu sagen. Lebt sie doch gut ausgebildet in einem demokratischen Land der ‚sogenannten‘ freien Welt mit einem hohen, wirtschaftlichen Lebensstandard und einem hohen Anteil von Gleichberechtigung. In der sogenannten ‚besseren Hälfte‘ des Planeten. Ihr Vater würde sich wundern und käme womöglich gar nicht mehr damit zurecht. Für ihn gehörte seine Frau nach Hause und zu den Kindern, er verdiene genug, seine Frau müsse nicht arbeiten, sagte er gerne und voller Stolz.
Na, da hat ihr Konrad in den letzten Jahrzehnten wahrlich einen weiten Weg der gesellschaftlichen Veränderung mitgemacht, ihr Liebster seit siebenundzwanzig Jahren, der gerade in seinem weißen Bademantel zur Tür hereinkommt. Er drückt ihr einen Kuss auf den Mund und setzt sich auf seinen Platz mit dem Blick hinaus. Beginnt die vier Brötchen im Korb auf zu schneiden. Müde sieht er aus und ja, sie sind beide in die Jahre gekommen.
„Hast du auch den Artikel gelesen? Über die bessere Hälfte? Der ist wirklich gut“, murmelt er.
„Ach so?“
„Ja, dass die zweite Lebenshälfte doch die bessere ist. Sehe es ganz genauso, ewig der Jugend hinterher zu trauern, bringt doch gar nichts. Ach, heute gibt's wieder das leckere Roggenbrötchen, welche Hälfte möchtest Du, Schatz?“
„Die untere, Darling.“
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Die bessere Hälfte
RAU
Steht das wirklich da? Als Überschrift eines Artikels in ihrer Lieblingszeitung? Sie glaubt es nicht und denkt sofort an den früheren Klassiker: „Darf ich Ihnen meine bessere Hälfte vorstellen?“ Schrecklich, ganz und gar unmöglich. Wird heute hoffentlich nie mehr gesagt. Was früher so frauenfreundlich daherkam … ach, geschenkt. Ihr Vater hat es wer weiß wie oft gesagt und dabei auch noch gerne Mama vor anderen leicht auf den Popo geklopft. Zum Glück vorbei, hoffentlich. Denn man weiß ja mittlerweile nie in diesen veränderten Zeiten, was an Altem sich da wieder breitmacht. Schluss damit, sie klappt ihr Tablet zu, es gibt Wichtigeres für den heutigen Tag.
Aber ihr Kopf will nicht ruhen, selbst als sie aufsteht und das Frühstück vorbereitet, heute am Samstag ist sie dran, geht ihr diese merkwürdige Formulierung nicht aus dem Sinn. Wie oft denken wir nicht in zwei Hälften? Vielleicht sogar gleich beim gemeinsamen Frühstück, wenn Konrad ihr dann den Korb reicht mit den von ihm aufgeschnittenen Brötchen, nimmt sie dann nicht doch zuerst lieber die obere Hälfte des Roggenbrötchens? Sie scheint ihr immer ein bisschen knuspriger von außen und innen weicher.
Während sie Teewasser aufsetzt, den Tisch deckt, die Lebensmittel aus dem Kühlschrank holt, arbeitet es weiter in ihr. Was wird wohl in dem Artikel stehen? Was soll sie anfangen mit diesem Begriff? Dieses ewige Bewerten von Allem und Jedem geht ihr sowieso schon seit Langem auf den Keks, aber sie tut sich natürlich leicht, dass zu sagen. Lebt sie doch gut ausgebildet in einem demokratischen Land der ‚sogenannten‘ freien Welt mit einem hohen, wirtschaftlichen Lebensstandard und einem hohen Anteil von Gleichberechtigung. In der sogenannten ‚besseren Hälfte‘ des Planeten. Ihr Vater würde sich wundern und käme womöglich gar nicht mehr damit zurecht. Für ihn gehörte seine Frau nach Hause und zu den Kindern, er verdiene genug, seine Frau müsse nicht arbeiten, sagte er gerne und voller Stolz.
Na, da hat ihr Konrad in den letzten Jahrzehnten wahrlich einen weiten Weg der gesellschaftlichen Veränderung mitgemacht, ihr Liebster seit siebenundzwanzig Jahren, der gerade in seinem weißen Bademantel zur Tür hereinkommt. Er drückt ihr einen Kuss auf den Mund und setzt sich auf seinen Platz mit dem Blick hinaus. Beginnt die vier Brötchen im Korb auf zu schneiden. Müde sieht er aus und ja, sie sind beide in die Jahre gekommen.
„Hast du auch den Artikel gelesen? Über die bessere Hälfte? Der ist wirklich gut“, murmelt er.
„Ach so?“
„Ja, dass die zweite Lebenshälfte doch die bessere ist. Sehe es ganz genauso, ewig der Jugend hinterher zu trauern, bringt doch gar nichts. Ach, heute gibt's wieder das leckere Roggenbrötchen, welche Hälfte möchtest Du, Schatz?“
„Die untere, Darling.“