Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Das rote Kleid
RAU
Waren sie schon einmal mit einer Frau ihres Herzens bei einer Schneiderin? Warum ich das frage? Weil es bei mir gestern soweit gewesen ist.
Ein eher unauffälliges Atelier im Erdgeschoß raus zur Straße, zwei bodentiefe Fenster, der vordere Raum sicherlich nicht größer als mein Wohnzimmer, dahinter noch ein Raum zum Hof mit einer Nähmaschine und jeder Menge Stoffballen. Sie arbeitet wohl alleine, die Schneiderin, oder sagt man jetzt Modedesignerin? Keine Ahnung, worin der Unterschied besteht.
Zu dritt stehen wir am großen, wirklich sehr großen Tisch, der mit Stoffen, Skizzen, Papieren, Zetteln, Stiften und Scheren übersät ist. Frau Canario, höchstens dreißig, hat sehr dünnes, kurz geschnittenes Haar, ist sehr blass und sehr schmal und kaum geschminkt. Sie trägt ein leuchtrotes Kleid mit dunkelroten größeren Punkten, der runde Kragen steht an den Seiten etwas ab, und ich denke mir, als Schneiderin sollte sie eigentlich sehen, dass das Kleid zu groß ist für ihren fast kindlichen Körper. Als Modedesignerin sieht sie es womöglich anders.
Katinka möchte unbedingt ein rotes Kleid, nicht zum Tanzen, sagt sie und grinst mich an, sondern zum Ausgehen. Wohin will sie denn abends ausgehen? Möchte sie gegenüber ihren Geschäftskollegen und Kunden eine noch bessere Figur machen, um noch bessere Abschlüsse zu bekommen? Es soll ihre schöne Figur betonen, wie sie selbstbewusst sagt, aber sie trotzdem bei Arbeitsessen mit Kunden schützen, erklärt sie Frau Canario. Habe ich also richtig gelegen, sie braucht das rote Kleid für ihre Kunden, dann kann es mir ja herzlich egal sein, und trotzdem stört mich irgendetwas hier an dem Tisch mit den beiden Frauen.
„Du meinst wirklich rot?“, werfe ich ein und suche den Blick der Schneiderin oder Modedesignerin, „vielleicht gibt es eine bessere Farbe für dich, grün oder ein helleres Blau zum Beispiel, oder Türkis?“
„Du meinst, rot steht mir nicht?“, antwortet Katinka leicht pampig. Sie mag es nicht, wenn ihr widersprochen wird.
„Deine wunderschönen Haare …“, fange ich an, obwohl ich noch nicht weiß, wie ich fortfahren werde.
„… sollten auf jeden Fall durch das richtige Rot unterstrichen werden“, fällt mir Frau Canario ins Wort.
„Und was wäre in diesem Fall der richtige Rotton?“, hake ich nach, denn so einfach wie einen Schuljungen bloßstellen lasse ich mich nun auch wieder nicht.
Schon greift Frau Canario nach einzelnen Stoffballen in Rottönen, wirft diese auf Skizzen, Zettel, Stifte und Scheren. „Dieser Rostton hier schmeichelt sehr, der Stoff ist leicht und doch fest. Möchten sie kurze Ärmel oder lieber ein ärmelloses Etuikleid? Knielang? Ausschnitt? Abgesetzte Biesen oder sonstige Raffinessen? Haben sie eine Idee?“
„Ich dachte, sie haben die Ideen“, werfe ich ein.
Doch Katinka übergeht meinen Einwand. „Keinen Rostton und keine Ärmel, ich möchte es leuchtend, eher ins Gelb-Rote oder auch Rot-Orange. Bis kurz übers Knie, oder was meinst du?“
„Auf jeden Fall“, sage ich und gehe zu den Stoffballen in Blautönen, „und sieh mal, die beiden hier stehen dir sicherlich ganz ausgezeichnet.“
„Ich will Rot.“
Langsam dämmert mir, dass das hier noch sehr schwierig werden kann. Rot kann ich mir bei ihren hellroten Haaren nun wirklich nicht vorstellen, aber soll sie doch ruhig schräg aussehen bei ihren wichtigen Kundenmeetings. Ich zumindest mag überhaupt keine roten Kleider, weder ärmellose, kurze oder knielange, ausgestellte oder enge, mit Ausschnitt oder keinem, rote Kleider jeglicher Art sind ein dickes, rotes Tuch für mich. Ich habe Katinka nie die Geschichte erzählt, meine Schwester hatte eine Puppe mit einem langen roten Kleid. Und eines Tages bin ich dermaßen sauer auf Steffi gewesen, habe mir die Puppe geschnappt, das feuerrote Kleid auseinandergerissen und die Fetzen samt Puppe aus dem Fenster geworfen. Das Geschrei und Geheule meiner Schwester können sie sich nicht vorstellen, meine Eltern haben mich mit drei Tagen Hausarrest bestraft, als hätte ich Steffi aus dem Fenster geworfen. Genau jetzt habe ich ihr Geschrei wieder im Ohr, hier am großen Tisch der angesagten Modedesignerin oder einfachen Schneiderin mit dem abstehenden Kragen des viel zu großen Kleides.
„Das dauert sicher noch länger hier, ich gehe schon mal rüber ins Cafè“, sage ich so locker wie möglich und öffne rasch die Tür.
Texte zum Alltäglichen -
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Das rote Kleid
RAU
Waren sie schon einmal mit einer Frau ihres Herzens bei einer Schneiderin? Warum ich das frage? Weil es bei mir gestern soweit gewesen ist.
Ein eher unauffälliges Atelier im Erdgeschoß raus zur Straße, zwei bodentiefe Fenster, der vordere Raum sicherlich nicht größer als mein Wohnzimmer, dahinter noch ein Raum zum Hof mit einer Nähmaschine und jeder Menge Stoffballen. Sie arbeitet wohl alleine, die Schneiderin, oder sagt man jetzt Modedesignerin? Keine Ahnung, worin der Unterschied besteht.
Zu dritt stehen wir am großen, wirklich sehr großen Tisch, der mit Stoffen, Skizzen, Papieren, Zetteln, Stiften und Scheren übersät ist. Frau Canario, höchstens dreißig, hat sehr dünnes, kurz geschnittenes Haar, ist sehr blass und sehr schmal und kaum geschminkt. Sie trägt ein leuchtrotes Kleid mit dunkelroten größeren Punkten, der runde Kragen steht an den Seiten etwas ab, und ich denke mir, als Schneiderin sollte sie eigentlich sehen, dass das Kleid zu groß ist für ihren fast kindlichen Körper. Als Modedesignerin sieht sie es womöglich anders.
Katinka möchte unbedingt ein rotes Kleid, nicht zum Tanzen, sagt sie und grinst mich an, sondern zum Ausgehen. Wohin will sie denn abends ausgehen? Möchte sie gegenüber ihren Geschäftskollegen und Kunden eine noch bessere Figur machen, um noch bessere Abschlüsse zu bekommen? Es soll ihre schöne Figur betonen, wie sie selbstbewusst sagt, aber sie trotzdem bei Arbeitsessen mit Kunden schützen, erklärt sie Frau Canario. Habe ich also richtig gelegen, sie braucht das rote Kleid für ihre Kunden, dann kann es mir ja herzlich egal sein, und trotzdem stört mich irgendetwas hier an dem Tisch mit den beiden Frauen.
„Du meinst wirklich rot?“, werfe ich ein und suche den Blick der Schneiderin oder Modedesignerin, „vielleicht gibt es eine bessere Farbe für dich, grün oder ein helleres Blau zum Beispiel, oder Türkis?“
„Du meinst, rot steht mir nicht?“, antwortet Katinka leicht pampig. Sie mag es nicht, wenn ihr widersprochen wird.
„Deine wunderschönen Haare …“, fange ich an, obwohl ich noch nicht weiß, wie ich fortfahren werde.
„… sollten auf jeden Fall durch das richtige Rot unterstrichen werden“, fällt mir Frau Canario ins Wort.
„Und was wäre in diesem Fall der richtige Rotton?“, hake ich nach, denn so einfach wie einen Schuljungen bloßstellen lasse ich mich nun auch wieder nicht.
Schon greift Frau Canario nach einzelnen Stoffballen in Rottönen, wirft diese auf Skizzen, Zettel, Stifte und Scheren. „Dieser Rostton hier schmeichelt sehr, der Stoff ist leicht und doch fest. Möchten sie kurze Ärmel oder lieber ein ärmelloses Etuikleid? Knielang? Ausschnitt? Abgesetzte Biesen oder sonstige Raffinessen? Haben sie eine Idee?“
„Ich dachte, sie haben die Ideen“, werfe ich ein.
Doch Katinka übergeht meinen Einwand. „Keinen Rostton und keine Ärmel, ich möchte es leuchtend, eher ins Gelb-Rote oder auch Rot-Orange. Bis kurz übers Knie, oder was meinst du?“
„Auf jeden Fall“, sage ich und gehe zu den Stoffballen in Blautönen, „und sieh mal, die beiden hier stehen dir sicherlich ganz ausgezeichnet.“
„Ich will Rot.“
Langsam dämmert mir, dass das hier noch sehr schwierig werden kann. Rot kann ich mir bei ihren hellroten Haaren nun wirklich nicht vorstellen, aber soll sie doch ruhig schräg aussehen bei ihren wichtigen Kundenmeetings. Ich zumindest mag überhaupt keine roten Kleider, weder ärmellose, kurze oder knielange, ausgestellte oder enge, mit Ausschnitt oder keinem, rote Kleider jeglicher Art sind ein dickes, rotes Tuch für mich. Ich habe Katinka nie die Geschichte erzählt, meine Schwester hatte eine Puppe mit einem langen roten Kleid. Und eines Tages bin ich dermaßen sauer auf Steffi gewesen, habe mir die Puppe geschnappt, das feuerrote Kleid auseinandergerissen und die Fetzen samt Puppe aus dem Fenster geworfen. Das Geschrei und Geheule meiner Schwester können sie sich nicht vorstellen, meine Eltern haben mich mit drei Tagen Hausarrest bestraft, als hätte ich Steffi aus dem Fenster geworfen. Genau jetzt habe ich ihr Geschrei wieder im Ohr, hier am großen Tisch der angesagten Modedesignerin oder einfachen Schneiderin mit dem abstehenden Kragen des viel zu großen Kleides.
„Das dauert sicher noch länger hier, ich gehe schon mal rüber ins Cafè“, sage ich so locker wie möglich und öffne rasch die Tür.