Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Da draußen
RAU
Vor den Scheiben kein einziger Vogel, noch nicht einmal ein Wurm im Beet. Dafür tanzt der halbe Garten. Äste, Blüten, Blätter spielen mit- und gegeneinander, da draußen pfeift eine schwere Symphonie, bei sicherlich Windstärke sechs. Nur die dicken Baumstämme stehen stramm, als würde sie das alles nichts angehen. Schon tausendmal erlebt, würden sie denken, könnten sie es.
Konrad meint fast, sich die Ohren zuhalten zu müssen wie früher als Kind. Noch nie hat er Wind gemocht und jetzt dieses Geheule erst recht nicht. Wie gut, dass er am Schreibtisch sitzt, einen Text fertigmachen muss, von dem er den Titel schon halb wieder vergessen hat. Sein ehemaliger Chef hat ihn darum gebeten, zum Jubiläum des Verlegers auch etwas beizusteuern für die Anthologie. Etwas mit Geist und Witz, wie immer halt, hat Anton vor einer Woche gemeint. Konrad hat stumm genickt, obwohl es der Andere gar nicht hat sehen können. Telefoniert haben sie, nichts Neumodisches wie Zoom oder Facetime oder wie das jetzt heißt benutzt. Charlotte kommt ja beinahe täglich mit diesen neuen Begriffen von ihrer Arbeit nach Hause, die ihr rote Backen machen. Die mag er, die roten Backen, die neuen Sachen nicht so.
Nicht einmal ein Spatz wagt sich raus. Hocken sicher in den Bäumen und Büschen hinter all den Blättern und haben auch keine Lust auf Wind, aber hoffentlich viel Spaß miteinander. Und große Vorfreude, denn wenn das hier vorbei ist, wird Vieles umeinander- und durcheinander gewirbelt sein und Einiges offen zutage liegen. Essbares. Der Lohn fürs Aushalten. So werden sie denken, die Spatzen.
Wenn sie es könnten, denkt Konrad und nimmt einen Schluck Tee. Der ist zwar schon etwas abgekühlt, aber noch trinkbar. Hat auch keine Lust, sich einen neuen zu machen. Genießt lieber das Sitzen und Hinaussehen, das macht er schon wochenlang und könnte es noch ewig so machen. Charlotte fragt immer, was er da so stundenlang in seinem Arbeitszimmer macht, seitdem er nicht mehr arbeitet.
„Nichts“, antwortet er dann.
„Wie nichts?“
„Das ist das Schönste.“
„Willst du gar nichts unternehmen? Da draußen tobt endlich wieder das Leben nach dem langen Winter und trüben Frühjahr.“
Ach Lotte, denkt er. Aber so darf er sie nie nennen, denn so redete ihr Vater ihre Mutter an, und da soll nichts durcheinander kommen mit den beiden Frauen. Ach Lotte, wenn du wüsstest, wie gut es mir hier drinnen geht. Keine Termine, alles im Kopf. So viel schon erlebt, dass es für zwei und mehr Leben reicht. Bin nicht müde, nur ein wenig satt. Das da draußen kann ruhig eine Weile ohne mich auskommen. Schreibe gleich für Anton diese blöde Geschichte in einem Rutsch runter, auf dass sich unser alter Verleger ein wenig freut. Dann habe ich wieder Zeit fürs Raussehen in den Garten und Reinsehen in meinen Kopf. So wie sich die Spatzen, Buchfinken und Rotkehlchen gerade vor dem Wind verstecken, haben sich meine Ideen im Kopf versteckt. Ich brauche Ruhe, sie wiederzufinden. Sie brauchen Ruhe, wieder hervorzukriechen. Das wird ein Fest werden, Lotte, wenn all die Ideen und ich endlich wieder zueinanderfinden, ein großes, buntes fröhliches Fest wird es werden, das sage ich dir, und bis es soweit ist, sitze ich gerne an meinem Tisch vor dem Fenster und sehe einfach hinaus, verstehst du?
Da, ein Wurm! Schlängelt sich aus dem Beet über den Rasen. Der traut sich was.
Texte zum Alltäglichen -
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Da draußen
RAU
Vor den Scheiben kein einziger Vogel, noch nicht einmal ein Wurm im Beet. Dafür tanzt der halbe Garten. Äste, Blüten, Blätter spielen mit- und gegeneinander, da draußen pfeift eine schwere Symphonie, bei sicherlich Windstärke sechs. Nur die dicken Baumstämme stehen stramm, als würde sie das alles nichts angehen. Schon tausendmal erlebt, würden sie denken, könnten sie es.
Konrad meint fast, sich die Ohren zuhalten zu müssen wie früher als Kind. Noch nie hat er Wind gemocht und jetzt dieses Geheule erst recht nicht. Wie gut, dass er am Schreibtisch sitzt, einen Text fertigmachen muss, von dem er den Titel schon halb wieder vergessen hat. Sein ehemaliger Chef hat ihn darum gebeten, zum Jubiläum des Verlegers auch etwas beizusteuern für die Anthologie. Etwas mit Geist und Witz, wie immer halt, hat Anton vor einer Woche gemeint. Konrad hat stumm genickt, obwohl es der Andere gar nicht hat sehen können. Telefoniert haben sie, nichts Neumodisches wie Zoom oder Facetime oder wie das jetzt heißt benutzt. Charlotte kommt ja beinahe täglich mit diesen neuen Begriffen von ihrer Arbeit nach Hause, die ihr rote Backen machen. Die mag er, die roten Backen, die neuen Sachen nicht so.
Nicht einmal ein Spatz wagt sich raus. Hocken sicher in den Bäumen und Büschen hinter all den Blättern und haben auch keine Lust auf Wind, aber hoffentlich viel Spaß miteinander. Und große Vorfreude, denn wenn das hier vorbei ist, wird Vieles umeinander- und durcheinander gewirbelt sein und Einiges offen zutage liegen. Essbares. Der Lohn fürs Aushalten. So werden sie denken, die Spatzen.
Wenn sie es könnten, denkt Konrad und nimmt einen Schluck Tee. Der ist zwar schon etwas abgekühlt, aber noch trinkbar. Hat auch keine Lust, sich einen neuen zu machen. Genießt lieber das Sitzen und Hinaussehen, das macht er schon wochenlang und könnte es noch ewig so machen. Charlotte fragt immer, was er da so stundenlang in seinem Arbeitszimmer macht, seitdem er nicht mehr arbeitet.
„Nichts“, antwortet er dann.
„Wie nichts?“
„Das ist das Schönste.“
„Willst du gar nichts unternehmen? Da draußen tobt endlich wieder das Leben nach dem langen Winter und trüben Frühjahr.“
Ach Lotte, denkt er. Aber so darf er sie nie nennen, denn so redete ihr Vater ihre Mutter an, und da soll nichts durcheinander kommen mit den beiden Frauen. Ach Lotte, wenn du wüsstest, wie gut es mir hier drinnen geht. Keine Termine, alles im Kopf. So viel schon erlebt, dass es für zwei und mehr Leben reicht. Bin nicht müde, nur ein wenig satt. Das da draußen kann ruhig eine Weile ohne mich auskommen. Schreibe gleich für Anton diese blöde Geschichte in einem Rutsch runter, auf dass sich unser alter Verleger ein wenig freut. Dann habe ich wieder Zeit fürs Raussehen in den Garten und Reinsehen in meinen Kopf. So wie sich die Spatzen, Buchfinken und Rotkehlchen gerade vor dem Wind verstecken, haben sich meine Ideen im Kopf versteckt. Ich brauche Ruhe, sie wiederzufinden. Sie brauchen Ruhe, wieder hervorzukriechen. Das wird ein Fest werden, Lotte, wenn all die Ideen und ich endlich wieder zueinanderfinden, ein großes, buntes fröhliches Fest wird es werden, das sage ich dir, und bis es soweit ist, sitze ich gerne an meinem Tisch vor dem Fenster und sehe einfach hinaus, verstehst du?
Da, ein Wurm! Schlängelt sich aus dem Beet über den Rasen. Der traut sich was.