Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Cargohosen
RAU
Er ist schon da, sitzt am Fenster und hat einen Cappuccino bestellt. Gut geschnittene schwarze Haare, dunkle Brille und anthrazitfarbener Pullover. Doch schon von der Tür aus sieht er älter aus als auf den Fotos. Wieder einer, der schummelt und nicht zu sich steht, denkt sie und würde am liebsten gleich auf dem Fuß kehrtmachen. Doch er hat sie schon bemerkt und lächelt sie an, etwas forsch und schüchtern zugleich. Das ist selten, und genau diese Mischung lässt sie doch zu seinem Tisch gehen. Vielleicht ist es ja sein erstes Mal.
Sie setzt sich und legt ihre Jacke ab, fühlt sich ihm gegenüber schon jetzt als Routinier, wenn auch wider Willen. Sie hatte es sich leichter vorgestellt, als sie dem Vorschlag ihrer Freundin endlich nachgegeben hat. Aber nur für sechs Monate, und du hilfst mir beim Anlegen des Profils. Hast ja schließlich mit Deinem Jörg wirklich einen Glücksgriff gemacht, dann kann ja bei mir auch nichts schief gehen, hat sie gemeint.
Es gibt so eine Untersuchung, dass sich innerhalb der ersten Sekunden schon alles entscheidet, ob man sich sympathisch ist und einander näher kennenlernen möchte. Bis jetzt war es jedes Mal so, heute ist sie sich nicht sicher. Bestellt auch einen Cappuccino und lehnt sich zurück. Soll er ruhig mal anfangen, und das macht er auch. Mit ruhiger, tiefer Stimme erzählt er, dass er es heute fast nicht pünktlich geschafft hätte, weil sich noch überraschend ein Kunde gemeldet hat. Selbständiger SAP-Berater ist er, das weiß sie von seinem Profil. Und genau das hat sie eigentlich zuerst abgeschreckt, denn diese Computerwelt ist überhaupt nichts für sie.
Natürlich benutzt sie Smartphone, Tablett und Laptop, aber wie sie funktionieren, interessiert sie nicht die Bohne. Und wenn sie nicht funktionieren, bekommt sie die Krise. Doch sein Foto hat ihr gefallen, vor allem sein ruhiger, milder und leicht verschmitzter Blick, den sie jetzt in seinem Gesicht sucht. Leider vergeblich, vielleicht ist er ihm ja auch in den letzten Jahren abhanden gekommen. Geschieden, zwei Kinder, aus dem gemeinsamen Haus in eine kleine Wohnung gezogen. Reist gerne und kommt leider zu selten ins Kino und Konzert. Fast das Übliche, denkt sie und überlegt, nach dem Cappuccino wieder zu gehen.
„Entschuldige bitte, der Kunde nochmal, da muss ich ran“, er nestelt sein Smartphone aus der Hosentasche, steht auf und geht vor die Tür.
Sie betrachtet ihn durch die Fensterscheibe, groß und schlank ist er, durchaus attraktiv könnte man sagen, trägt dunkle Sneakers mit weißer Sohle und schwarze Cargohosen. Ist es zu fassen? Macht auf jugendlich und leger, Marke kleiner großer Junge? Oder ist er einer von diesen Outdoortypen, die am liebsten noch schnell nützliches Werkzeug in die überflüssigen Seitentaschen stecken? Ein bisschen mehr Geschmack hätte sie schon erwartet und sucht in ihrem Portemonnaie nach einem Fünf-Euro-Schein. Noch eine Woche läuft ihr Abo, dann hat sie endlich wieder ihre Ruhe vor unliebsamen Überraschungen.
Als er zurückkommt, ist er auf einmal da. Der verschmitzte Blick von seinem Foto, während er sie fragt: „Hertha oder Union?“
„Was für eine Frage!“
„Der Kunde hat mir gerade Karten für das Spiel Union gegen die Bayern angeboten.“
„Schön für dich, das letzte Mal haben sie sie sogar geschlagen“, antwortet sie und lächelt etwas.
„Eine Frau, die sich auskennt. Gehen wir zusammen hin?“, lächelt er zurück.
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RAU
Er ist schon da, sitzt am Fenster und hat einen Cappuccino bestellt. Gut geschnittene schwarze Haare, dunkle Brille und anthrazitfarbener Pullover. Doch schon von der Tür aus sieht er älter aus als auf den Fotos. Wieder einer, der schummelt und nicht zu sich steht, denkt sie und würde am liebsten gleich auf dem Fuß kehrtmachen. Doch er hat sie schon bemerkt und lächelt sie an, etwas forsch und schüchtern zugleich. Das ist selten, und genau diese Mischung lässt sie doch zu seinem Tisch gehen. Vielleicht ist es ja sein erstes Mal.
Sie setzt sich und legt ihre Jacke ab, fühlt sich ihm gegenüber schon jetzt als Routinier, wenn auch wider Willen. Sie hatte es sich leichter vorgestellt, als sie dem Vorschlag ihrer Freundin endlich nachgegeben hat. Aber nur für sechs Monate, und du hilfst mir beim Anlegen des Profils. Hast ja schließlich mit Deinem Jörg wirklich einen Glücksgriff gemacht, dann kann ja bei mir auch nichts schief gehen, hat sie gemeint.
Es gibt so eine Untersuchung, dass sich innerhalb der ersten Sekunden schon alles entscheidet, ob man sich sympathisch ist und einander näher kennenlernen möchte. Bis jetzt war es jedes Mal so, heute ist sie sich nicht sicher. Bestellt auch einen Cappuccino und lehnt sich zurück. Soll er ruhig mal anfangen, und das macht er auch. Mit ruhiger, tiefer Stimme erzählt er, dass er es heute fast nicht pünktlich geschafft hätte, weil sich noch überraschend ein Kunde gemeldet hat. Selbständiger SAP-Berater ist er, das weiß sie von seinem Profil. Und genau das hat sie eigentlich zuerst abgeschreckt, denn diese Computerwelt ist überhaupt nichts für sie.
Natürlich benutzt sie Smartphone, Tablett und Laptop, aber wie sie funktionieren, interessiert sie nicht die Bohne. Und wenn sie nicht funktionieren, bekommt sie die Krise. Doch sein Foto hat ihr gefallen, vor allem sein ruhiger, milder und leicht verschmitzter Blick, den sie jetzt in seinem Gesicht sucht. Leider vergeblich, vielleicht ist er ihm ja auch in den letzten Jahren abhanden gekommen. Geschieden, zwei Kinder, aus dem gemeinsamen Haus in eine kleine Wohnung gezogen. Reist gerne und kommt leider zu selten ins Kino und Konzert. Fast das Übliche, denkt sie und überlegt, nach dem Cappuccino wieder zu gehen.
„Entschuldige bitte, der Kunde nochmal, da muss ich ran“, er nestelt sein Smartphone aus der Hosentasche, steht auf und geht vor die Tür.
Sie betrachtet ihn durch die Fensterscheibe, groß und schlank ist er, durchaus attraktiv könnte man sagen, trägt dunkle Sneakers mit weißer Sohle und schwarze Cargohosen. Ist es zu fassen? Macht auf jugendlich und leger, Marke kleiner großer Junge? Oder ist er einer von diesen Outdoortypen, die am liebsten noch schnell nützliches Werkzeug in die überflüssigen Seitentaschen stecken? Ein bisschen mehr Geschmack hätte sie schon erwartet und sucht in ihrem Portemonnaie nach einem Fünf-Euro-Schein. Noch eine Woche läuft ihr Abo, dann hat sie endlich wieder ihre Ruhe vor unliebsamen Überraschungen.
Als er zurückkommt, ist er auf einmal da. Der verschmitzte Blick von seinem Foto, während er sie fragt: „Hertha oder Union?“
„Was für eine Frage!“
„Der Kunde hat mir gerade Karten für das Spiel Union gegen die Bayern angeboten.“
„Schön für dich, das letzte Mal haben sie sie sogar geschlagen“, antwortet sie und lächelt etwas.
„Eine Frau, die sich auskennt. Gehen wir zusammen hin?“, lächelt er zurück.