Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Brüche
RAU
Glas zerbricht, Steinplatten, Fingernägel, Knochen brechen und ja, Freundschaften auch. Da kommt schon Einiges zusammen in einem Leben, denkt Konrad, als er weiter in seinem Zimmer aufräumt.
Erst heute morgen ist Charlotte ihre Lieblingsschüssel beim Ausräumen der Spülmaschine runtergefallen, und ihm gestern spätabends noch das Weinglas. Werden sie alt und tüttelig? Aber was soll’s, das sind Alltagsgegenstände, das passiert eben, das lässt sich alles ersetzen. Aber mit den Freunden oder besser gesagt den ehemaligen? Und mit den Freundinnen und Frauen, den ehemaligen?
Konrad weiß nicht so recht, ob er wirklich weitermachen will mit dem Aufräumen. Die Unterlagen vom Institut waren schnell aus den Ordnern genommen und geschreddert, die leeren Ordner in große Pappkartons gestellt für den Hausmüll oder irgendjemanden, der sie brauchen kann. Doch wohin jetzt mit den Briefen und gedruckten Mails, der privaten Korrespondenz, wie es heißt? Gehören die in den Sondermüll oder werden einfach weiter aufgehoben, bis die Kinder eines Tages vor derselben Entscheidung stehen wie er jetzt, wohin damit?
Wäre es nicht erst drei Uhr, würde Konrad sich jetzt gerne einen Whisky eingießen. Die Nachrichten von Charlotte, die ... geschenkt. Das wird die Kinder eines Tages vielleicht sogar interessieren, was sie ihrem Vater in den Anfangsjahren alles so geschrieben. Aber all die anderen? All die anderen Nachrichten, Berichte, Beschreibungen, Einblicke, Offenbarungen, Wünsche, Sehnsüchte, Geständnisse, Vorwürfe gar der ehemals so Vertrauten? Alles noch auf Papier, ja, da würdet ihr staunen, womit wir früher unsere Zeit gefüllt haben. Nix social media.
Wie viel Innigkeit, Vertrautheit, Hoffen und Verzehren stecken in diesen Mappen, die sicherlich … ach, er will es gar nicht so genau wissen, wie viele es sind. Namen und Gesichter ziehen vorbei, gemeinsam Erlebtes, viel Schönes, Liebenswertes, Vertrautes, Hoffnung und Liebe, ja, Liebe auch. Und auch das Andere. Vorwürfe, Enttäuschungen, Missverständnisse, Unterschiedliches, Auseinanderleben, Streitereien bis hin zum Abschiednehmen, Auseinandergehen oder einfachem Verstummen. Sich nicht mehr melden, sich nicht erklären, einfach gehen. Aus und vorbei. Vertrautes zerbricht. Wie viele Brüche stecken da auch in diesen Mappen vor ihm im Regal?
Zuerst wischt er mit dem Taschentuch über die feuchte Stirn, dann leert er schnell ein Glas Wasser. Und dann entscheidet er sich binnen einer Sekunde oder sind es zwei oder zehn oder hundert? Alle Mappen wirft er in drei leere Kartons und trägt sie sofort runter zum Auto. Stellt sie zu den anderen Kartons im Kofferraum. Alles für den Wertstoffhof. Aus die Maus, weg damit, denn nichts muss er mehr nachlesen, nie mehr, alles gehört zu ihm, und er weiß noch von jedem und von jeder einzelnen alles, das Erlebte, Geliebte, Erlittene und auch Gebrochene.
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Brüche
RAU
Glas zerbricht, Steinplatten, Fingernägel, Knochen brechen und ja, Freundschaften auch. Da kommt schon Einiges zusammen in einem Leben, denkt Konrad, als er weiter in seinem Zimmer aufräumt.
Erst heute morgen ist Charlotte ihre Lieblingsschüssel beim Ausräumen der Spülmaschine runtergefallen, und ihm gestern spätabends noch das Weinglas. Werden sie alt und tüttelig? Aber was soll’s, das sind Alltagsgegenstände, das passiert eben, das lässt sich alles ersetzen. Aber mit den Freunden oder besser gesagt den ehemaligen? Und mit den Freundinnen und Frauen, den ehemaligen?
Konrad weiß nicht so recht, ob er wirklich weitermachen will mit dem Aufräumen. Die Unterlagen vom Institut waren schnell aus den Ordnern genommen und geschreddert, die leeren Ordner in große Pappkartons gestellt für den Hausmüll oder irgendjemanden, der sie brauchen kann. Doch wohin jetzt mit den Briefen und gedruckten Mails, der privaten Korrespondenz, wie es heißt? Gehören die in den Sondermüll oder werden einfach weiter aufgehoben, bis die Kinder eines Tages vor derselben Entscheidung stehen wie er jetzt, wohin damit?
Wäre es nicht erst drei Uhr, würde Konrad sich jetzt gerne einen Whisky eingießen. Die Nachrichten von Charlotte, die ... geschenkt. Das wird die Kinder eines Tages vielleicht sogar interessieren, was sie ihrem Vater in den Anfangsjahren alles so geschrieben. Aber all die anderen? All die anderen Nachrichten, Berichte, Beschreibungen, Einblicke, Offenbarungen, Wünsche, Sehnsüchte, Geständnisse, Vorwürfe gar der ehemals so Vertrauten? Alles noch auf Papier, ja, da würdet ihr staunen, womit wir früher unsere Zeit gefüllt haben. Nix social media.
Wie viel Innigkeit, Vertrautheit, Hoffen und Verzehren stecken in diesen Mappen, die sicherlich … ach, er will es gar nicht so genau wissen, wie viele es sind. Namen und Gesichter ziehen vorbei, gemeinsam Erlebtes, viel Schönes, Liebenswertes, Vertrautes, Hoffnung und Liebe, ja, Liebe auch. Und auch das Andere. Vorwürfe, Enttäuschungen, Missverständnisse, Unterschiedliches, Auseinanderleben, Streitereien bis hin zum Abschiednehmen, Auseinandergehen oder einfachem Verstummen. Sich nicht mehr melden, sich nicht erklären, einfach gehen. Aus und vorbei. Vertrautes zerbricht. Wie viele Brüche stecken da auch in diesen Mappen vor ihm im Regal?
Zuerst wischt er mit dem Taschentuch über die feuchte Stirn, dann leert er schnell ein Glas Wasser. Und dann entscheidet er sich binnen einer Sekunde oder sind es zwei oder zehn oder hundert? Alle Mappen wirft er in drei leere Kartons und trägt sie sofort runter zum Auto. Stellt sie zu den anderen Kartons im Kofferraum. Alles für den Wertstoffhof. Aus die Maus, weg damit, denn nichts muss er mehr nachlesen, nie mehr, alles gehört zu ihm, und er weiß noch von jedem und von jeder einzelnen alles, das Erlebte, Geliebte, Erlittene und auch Gebrochene.