Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Brüche
WIE
Natürlich ist es in vielen Fällen so, dass Dinge einfach so weiterlaufen, über Wochen, Monate, Jahre und Jahrzehnte. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn der Wohnort, das Haus, der Beruf, die familiären Verhältnisse gleich bleiben und damit auch die alltäglichen Erledigungen, die wöchentlichen oder jahreszeitliche Unternehmungen wiederkehren.
Nicht viel anders war es bei Annette und Felix. Bei ihnen war seit Jahren Vieles gleich geblieben. Sie waren beide noch berufstätig, die Kinder schon lange aus dem Haus, keine nennenswerten Krisen, insgesamt eine ausgewogene Work-Life-Balance. Doch damit war ihr Leben keinesfalls langweilig oder geruhsam, weder in ihren eigenen Augen noch in denen ihrer Bekannten. Eher waren sie für viele ein Vorbild, galten als ein aufgeschlossenes Paar mit vielen Aktivitäten, die weit über das Berufliche hinaus gingen. Allen vorn ihr reges Interesse für Kunstausstellungen, Theater- und Literaturveranstaltungen. Auch der klassischen Moderne gegenüber waren sie aufgeschlossen, wie es erst letztens bei einer großen Ausstellung in der Kunsthalle zu sehen war.
Und abschließend schwärmten sie wortreich von den Künstlern und ihrer Arbeiten, Meister der Brüche, wie Felix es gerne nannte. Ja geradezu unzählige Brüche in einem einzigen Bild oder auch Videoarbeiten und Rauminstallationen, in denen sich die Realitäts- wie auch Bedeutungsebenen miteinander vermischten. Genauso wie bei ihrem Lieblingsregisseur im städtischen Theater, dessen Inszenierungen und Premieren sie seit Jahrzehnten verfolgten. Auch hier ein Meister der Brüche auf der Bühne, bei den Bühnenbildern, beim Rollenverständnis und der Neuinterpretation alter Stück. Genauso war es dieses Wochenende bei einer Premiere von Woyzeck erwarteten in seiner ganzen Widersprüchlichkeit und Brüchigkeit.
Hätte sich nicht Bettina, Annettes jüngere Schwester, angemeldet. Mit den Worten: „Ich bin im Rheinland, ich dachte, ich komme mal vorbei“, hatte sie per Whats'app geschrieben, ohne groß zu fragen ob es passt. Doch was Felix und Annette bei diesem Besuch erwarteten würde, wussten sie genau: Von nun an heißt es, alles kommt anders als geplant. Mal brach sie einen Aufenthalt ab, weil etwas Unerwartetes dazwischenkam. Mal kam sie in bester Laune an, aber der nächste Anruf ließ die gute Laune wieder in sich zusammenbrechen. Mal hatte sie jemand Neuen kennengelernt und war sich sicher, endlich die Liebe ihres Leben gefunden zu haben. Um kurz darauf zu erzählen, dass sie die Beziehung abgebrochen habe, schließlich suche sie was Längerfristiges mit Kontinuität und Verlässlichkeit. Mal lief es in ihren Aufträgen als freischaffende Kunsthistorikerin bestens, mal war sie Opfer einer maroden, in sich zusammenbrechenden Kulturlandschaft in ganz Europa.
Auch die Frage ihrer älteren Schwester Annette, wann sie endlich mal erwachsen werden wolle, wurde von einem unausweichlichen Bedürfnis nach einer Zigarette abgebrochen, die Bettina telefonierend auf der Veranda rauchte, um anschließend von der nächsten katastrophalen Nachricht zu berichten.
Als Annette kurz darauf ihre Schwester fragte, ob sie mit in die Woyzeck Premiere gehen wolle, da Felix verhindert sei, lehnte diese mit den Worten ab: „Das moderne Theater mit seinen endlosen Brüchen, in dem nicht mal Sätze, geschweige denn irgendwelche Geschichten oder Themen zu Ende geführt werden, diese Bühnenexperimente und das ganze Durcheinander ist nichts für mich. Ich halte mich da lieber an die Realität.“ Sprach es und teilte nach einem weiteren Anruf ihrer Schwester mit, sie überlege für ein Jahr nach Rom zu ziehen, das sei für ihren Beruf irgendwie unabkömmlich. Ob Annette sich derweil um die Untervermietung ihrer Wohnung kümmern könne.
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Brüche
WIE
Natürlich ist es in vielen Fällen so, dass Dinge einfach so weiterlaufen, über Wochen, Monate, Jahre und Jahrzehnte. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn der Wohnort, das Haus, der Beruf, die familiären Verhältnisse gleich bleiben und damit auch die alltäglichen Erledigungen, die wöchentlichen oder jahreszeitliche Unternehmungen wiederkehren.
Nicht viel anders war es bei Annette und Felix. Bei ihnen war seit Jahren Vieles gleich geblieben. Sie waren beide noch berufstätig, die Kinder schon lange aus dem Haus, keine nennenswerten Krisen, insgesamt eine ausgewogene Work-Life-Balance. Doch damit war ihr Leben keinesfalls langweilig oder geruhsam, weder in ihren eigenen Augen noch in denen ihrer Bekannten. Eher waren sie für viele ein Vorbild, galten als ein aufgeschlossenes Paar mit vielen Aktivitäten, die weit über das Berufliche hinaus gingen. Allen vorn ihr reges Interesse für Kunstausstellungen, Theater- und Literaturveranstaltungen. Auch der klassischen Moderne gegenüber waren sie aufgeschlossen, wie es erst letztens bei einer großen Ausstellung in der Kunsthalle zu sehen war.
Und abschließend schwärmten sie wortreich von den Künstlern und ihrer Arbeiten, Meister der Brüche, wie Felix es gerne nannte. Ja geradezu unzählige Brüche in einem einzigen Bild oder auch Videoarbeiten und Rauminstallationen, in denen sich die Realitäts- wie auch Bedeutungsebenen miteinander vermischten. Genauso wie bei ihrem Lieblingsregisseur im städtischen Theater, dessen Inszenierungen und Premieren sie seit Jahrzehnten verfolgten. Auch hier ein Meister der Brüche auf der Bühne, bei den Bühnenbildern, beim Rollenverständnis und der Neuinterpretation alter Stück. Genauso war es dieses Wochenende bei einer Premiere von Woyzeck erwarteten in seiner ganzen Widersprüchlichkeit und Brüchigkeit.
Hätte sich nicht Bettina, Annettes jüngere Schwester, angemeldet. Mit den Worten: „Ich bin im Rheinland, ich dachte, ich komme mal vorbei“, hatte sie per Whats'app geschrieben, ohne groß zu fragen ob es passt. Doch was Felix und Annette bei diesem Besuch erwarteten würde, wussten sie genau: Von nun an heißt es, alles kommt anders als geplant. Mal brach sie einen Aufenthalt ab, weil etwas Unerwartetes dazwischenkam. Mal kam sie in bester Laune an, aber der nächste Anruf ließ die gute Laune wieder in sich zusammenbrechen. Mal hatte sie jemand Neuen kennengelernt und war sich sicher, endlich die Liebe ihres Leben gefunden zu haben. Um kurz darauf zu erzählen, dass sie die Beziehung abgebrochen habe, schließlich suche sie was Längerfristiges mit Kontinuität und Verlässlichkeit. Mal lief es in ihren Aufträgen als freischaffende Kunsthistorikerin bestens, mal war sie Opfer einer maroden, in sich zusammenbrechenden Kulturlandschaft in ganz Europa.
Auch die Frage ihrer älteren Schwester Annette, wann sie endlich mal erwachsen werden wolle, wurde von einem unausweichlichen Bedürfnis nach einer Zigarette abgebrochen, die Bettina telefonierend auf der Veranda rauchte, um anschließend von der nächsten katastrophalen Nachricht zu berichten.
Als Annette kurz darauf ihre Schwester fragte, ob sie mit in die Woyzeck Premiere gehen wolle, da Felix verhindert sei, lehnte diese mit den Worten ab: „Das moderne Theater mit seinen endlosen Brüchen, in dem nicht mal Sätze, geschweige denn irgendwelche Geschichten oder Themen zu Ende geführt werden, diese Bühnenexperimente und das ganze Durcheinander ist nichts für mich. Ich halte mich da lieber an die Realität.“ Sprach es und teilte nach einem weiteren Anruf ihrer Schwester mit, sie überlege für ein Jahr nach Rom zu ziehen, das sei für ihren Beruf irgendwie unabkömmlich. Ob Annette sich derweil um die Untervermietung ihrer Wohnung kümmern könne.