Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Braunes Rauschen
RAU
Hm. So also. Aber hört sie wirklich was? Ist das eine Maschine oder irgendein Rascheln, ein leises Blätterrascheln vielleicht oder ein Steinerütteln oder ist es das Meer?
Charlotte hatte einen anstrengenden Tag mit drei Besprechungen, die nicht wirklich gut gelaufen sind. Eine davon mit dem Kunden in München, den sie schon seit Wochen, ach was, seit Monaten bearbeitet, schon dreimal ist sie zu ihm gefahren. Nun zögert er wieder, möchte noch diese Veränderungen und hat jenen Vorschlag. Ihr Chef ist langsam verärgert, und sie ist es auch.
Nun liegt sie im Wohnzimmer auf der Coach, hat sich in die warme, rote Decke gewickelt und Kopfhörer aufgesetzt. Startet die Playlist und schließt die Augen, beide Ohren auf Empfang. Hört erstmal nichts, gar nichts, dann leises, monotones Rauschen. Wie aus weiter Ferne und nur auf einer Frequenz, da kommt nichts anderes nach. Kein Rhythmus, kein Instrument, erst recht kein Bass und auch keine Stimme. Nicht dass sie das wirklich erwartet hätte, aber es wundert sie schon.
Hm. So also. Immer noch monotones Rauschen. Sie drückt das nächste Stück, das nicht anders klingt. Dann das nächste, dieses Mal klingt es vielleicht etwas heller. Drei Minuten zweiundfünfzig Minuten nur Rauschen oder Rascheln oder was ist das? Gewittergrummeln? Das nächste Stück geht sogar über vier Minuten.
Das ist der neue Trend unter jungen Leuten? Nicht zu fassen, Cara hat neulich davon vorgeschwärmt, wie toll es ist, wie gut sie sich jetzt wieder konzentrieren könne, wenn sie ‚Brown Noise‘ hört. Kann wieder lesen und sich konzentrieren, verliert ihre Unruhe, hat sie gemeint.
Cara, ihre Jüngste, fällt auch auf alles rein, denkt Charlotte und klickt in der Playlist weiter. Die Titel sind noch das Beste. Lo-Air, Ambient Noise 100 Hz, Low Brown, Lullaby. Sleepy Parents heißen bei einem die Interpreten, von Musikern kann man ja wohl nicht sprechen.
Sleepy Parents, dass sie nicht lacht. Zwar ist sie gerade hundemüde, aber in der Rückschau kann sie sich nicht erinnern, jemals so schlapp rumgehangen zu haben wie derzeit ihre Jüngste. Irgendetwas stimmt doch nicht mit ihr, mit zwanzig so energielos durchs Leben zu gehen. Das erschreckt sie, macht ihr Angst. Der Gedanke, dass ihre Tochter derzeit nur in der Lage ist, sich mit diesem braunen Rauschen noch konzentrieren zu können, macht sie fassungslos. Nimmt sie doch Drogen? Brown Noise, ein neuer Trend bei TikTok, meint Cara, das hören weltweit die jungen Leute, und es geht ihnen endlich wieder besser. Sie lassen sich tatsächlich von diesem sinnentleerten leisen, braunen Rauschen, Rascheln und Grummeln beruhigen oder gleich wegbeamen, während die schlauen Gründer damit Millionen scheffeln?
Nicht zu fassen. Charlotte drückt auf Stopp. Jetzt Cara anzurufen, wäre keine gute Idee, aber irgendetwas braucht sie zur Beruhigung. Also startet sie ihre Lieblingsplaylist und hört die ersten Töne, das ist eine Melodie, die solltest Du Dir mal anhören, liebe Cara. Zuerst setzt die Gitarre ein, dann das Schlagzeug und endlich die Stimme, rau und dunkel und doch wieder sanft. Rhythmus und Gefühl pur. Santana, Black Magic Woman. Sie wirft die Decke zur Seite, steht auf und beginnt ihre Hüften zu kreisen. Schließt die Augen und tanzt.
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Braunes Rauschen
RAU
Hm. So also. Aber hört sie wirklich was? Ist das eine Maschine oder irgendein Rascheln, ein leises Blätterrascheln vielleicht oder ein Steinerütteln oder ist es das Meer?
Charlotte hatte einen anstrengenden Tag mit drei Besprechungen, die nicht wirklich gut gelaufen sind. Eine davon mit dem Kunden in München, den sie schon seit Wochen, ach was, seit Monaten bearbeitet, schon dreimal ist sie zu ihm gefahren. Nun zögert er wieder, möchte noch diese Veränderungen und hat jenen Vorschlag. Ihr Chef ist langsam verärgert, und sie ist es auch.
Nun liegt sie im Wohnzimmer auf der Coach, hat sich in die warme, rote Decke gewickelt und Kopfhörer aufgesetzt. Startet die Playlist und schließt die Augen, beide Ohren auf Empfang. Hört erstmal nichts, gar nichts, dann leises, monotones Rauschen. Wie aus weiter Ferne und nur auf einer Frequenz, da kommt nichts anderes nach. Kein Rhythmus, kein Instrument, erst recht kein Bass und auch keine Stimme. Nicht dass sie das wirklich erwartet hätte, aber es wundert sie schon.
Hm. So also. Immer noch monotones Rauschen. Sie drückt das nächste Stück, das nicht anders klingt. Dann das nächste, dieses Mal klingt es vielleicht etwas heller. Drei Minuten zweiundfünfzig Minuten nur Rauschen oder Rascheln oder was ist das? Gewittergrummeln? Das nächste Stück geht sogar über vier Minuten.
Das ist der neue Trend unter jungen Leuten? Nicht zu fassen, Cara hat neulich davon vorgeschwärmt, wie toll es ist, wie gut sie sich jetzt wieder konzentrieren könne, wenn sie ‚Brown Noise‘ hört. Kann wieder lesen und sich konzentrieren, verliert ihre Unruhe, hat sie gemeint.
Cara, ihre Jüngste, fällt auch auf alles rein, denkt Charlotte und klickt in der Playlist weiter. Die Titel sind noch das Beste. Lo-Air, Ambient Noise 100 Hz, Low Brown, Lullaby. Sleepy Parents heißen bei einem die Interpreten, von Musikern kann man ja wohl nicht sprechen.
Sleepy Parents, dass sie nicht lacht. Zwar ist sie gerade hundemüde, aber in der Rückschau kann sie sich nicht erinnern, jemals so schlapp rumgehangen zu haben wie derzeit ihre Jüngste. Irgendetwas stimmt doch nicht mit ihr, mit zwanzig so energielos durchs Leben zu gehen. Das erschreckt sie, macht ihr Angst. Der Gedanke, dass ihre Tochter derzeit nur in der Lage ist, sich mit diesem braunen Rauschen noch konzentrieren zu können, macht sie fassungslos. Nimmt sie doch Drogen? Brown Noise, ein neuer Trend bei TikTok, meint Cara, das hören weltweit die jungen Leute, und es geht ihnen endlich wieder besser. Sie lassen sich tatsächlich von diesem sinnentleerten leisen, braunen Rauschen, Rascheln und Grummeln beruhigen oder gleich wegbeamen, während die schlauen Gründer damit Millionen scheffeln?
Nicht zu fassen. Charlotte drückt auf Stopp. Jetzt Cara anzurufen, wäre keine gute Idee, aber irgendetwas braucht sie zur Beruhigung. Also startet sie ihre Lieblingsplaylist und hört die ersten Töne, das ist eine Melodie, die solltest Du Dir mal anhören, liebe Cara. Zuerst setzt die Gitarre ein, dann das Schlagzeug und endlich die Stimme, rau und dunkel und doch wieder sanft. Rhythmus und Gefühl pur. Santana, Black Magic Woman. Sie wirft die Decke zur Seite, steht auf und beginnt ihre Hüften zu kreisen. Schließt die Augen und tanzt.