Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog

Berühren
RAU
Diese vielen bunten Farben und Formen, das weiche Material, wie gerne würde sie mit den Fingern ganz sachte darüber streichen, aber natürlich hängt neben dem Teppich ein Schild ‚Bitte nicht berühren‘. Schließlich ist sie im Museum, da fasst man nichts an.
Und urplötzlich, wie aus tiefster Tiefe, ist sie wieder da, diese Zeit in ihrem Leben, die auch immer noch in jeder Zelle ihres Körpers tief vergraben ist. Die Jahre, als sie Mann und Job verlor und mit drei halbwüchsigen Kindern auf einmal alleine dastand. Natürlich hat sie alles gemeistert, natürlich hat sie so gut wie nie gejammert. Alle haben ihr immer wieder bestätigt, wie toll sie das macht, wieviel Kraft sie hat, dass sie das nie so hinbekommen würden.
Wenn ihr wüsstet, hat sie damals oft gedacht, wenn ihr wüsstet. Wie viele Wochenenden lag sie weinend in ihrem Bett, wollte keine Paare und Familie in den Parks und an den Seen sehen, wollte sich aber auch nicht mit gleichfalls alleinstehenden, geschiedenen, verbitterten und traurigen Frauen treffen, dann lieber erstmal ‚ne Runde weinen' und wieder zum Buch greifen. Es waren die Jahre des Dauerlesens. Dienstagabends leistete sie sich eine Yogastunde, und als nach der Schavasana die Jogalehrerin jeder/jedem sanft die Stirn massierte, kamen ihr oft die Tränen und sie dachte, wenn du wüsstest, dass dies meine einzige Berührung für die Woche sein wird.
Es gab Abende, an denen sie nach Kuschelpartys googelte und fest entschlossen war, es zu probieren, sie sah sich Filme auf Youtube an und schaute genau hin, was da wie passierte und was nicht, und doch hatte sie nie den Mut, zu einer zu gehen. Manchmal dachte sie, sie malt ein großes Schild mit der Aufschrift ‚Bitte einmal umarmen‘ und stellt sich vorne an den großen Platz damit. Auch dazu hatte sie dann doch keinen Mut. Bis sie dann auf einer Party mal mir nichts, dir nichts eine sympathische, geschiedene Frau einfach fragte, wie sie so damit zurechtkäme, so ohne Berührung.
“Gut, ich leiste mir jede Woche eine Massage“, hatte die geantwortet.
Das ist die Lösung, hatte sie gedachte und es dann auch so gemacht, hat sich jeden Freitag massieren lassen. So hat sie sich wieder gespürt und das beruhigende Gefühl verspürt, doch nicht alleine zu sein.
Puuuh, was dieser wunderschöne, weiche und bunte Teppich aus den 20er Jahren alles bei ihr auslöst oder vielmehr die Beschriftung. Jetzt braucht sie erstmal einen Espresso. Inga steht auf und geht näher zum Teppich, berührt dann sanft das kleine Schild mit ihren Fingerspitzen. Das zumindest kann ihr niemand verbieten.
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Berühren
RAU
Diese vielen bunten Farben und Formen, das weiche Material, wie gerne würde sie mit den Fingern ganz sachte darüber streichen, aber natürlich hängt neben dem Teppich ein Schild ‚Bitte nicht berühren‘. Schließlich ist sie im Museum, da fasst man nichts an.
Und urplötzlich, wie aus tiefster Tiefe, ist sie wieder da, diese Zeit in ihrem Leben, die auch immer noch in jeder Zelle ihres Körpers tief vergraben ist. Die Jahre, als sie Mann und Job verlor und mit drei halbwüchsigen Kindern auf einmal alleine dastand. Natürlich hat sie alles gemeistert, natürlich hat sie so gut wie nie gejammert. Alle haben ihr immer wieder bestätigt, wie toll sie das macht, wieviel Kraft sie hat, dass sie das nie so hinbekommen würden.
Wenn ihr wüsstet, hat sie damals oft gedacht, wenn ihr wüsstet. Wie viele Wochenenden lag sie weinend in ihrem Bett, wollte keine Paare und Familie in den Parks und an den Seen sehen, wollte sich aber auch nicht mit gleichfalls alleinstehenden, geschiedenen, verbitterten und traurigen Frauen treffen, dann lieber erstmal ‚ne Runde weinen' und wieder zum Buch greifen. Es waren die Jahre des Dauerlesens. Dienstagabends leistete sie sich eine Yogastunde, und als nach der Schavasana die Jogalehrerin jeder/jedem sanft die Stirn massierte, kamen ihr oft die Tränen und sie dachte, wenn du wüsstest, dass dies meine einzige Berührung für die Woche sein wird.
Es gab Abende, an denen sie nach Kuschelpartys googelte und fest entschlossen war, es zu probieren, sie sah sich Filme auf Youtube an und schaute genau hin, was da wie passierte und was nicht, und doch hatte sie nie den Mut, zu einer zu gehen. Manchmal dachte sie, sie malt ein großes Schild mit der Aufschrift ‚Bitte einmal umarmen‘ und stellt sich vorne an den großen Platz damit. Auch dazu hatte sie dann doch keinen Mut. Bis sie dann auf einer Party mal mir nichts, dir nichts eine sympathische, geschiedene Frau einfach fragte, wie sie so damit zurechtkäme, so ohne Berührung.
“Gut, ich leiste mir jede Woche eine Massage“, hatte die geantwortet.
Das ist die Lösung, hatte sie gedachte und es dann auch so gemacht, hat sich jeden Freitag massieren lassen. So hat sie sich wieder gespürt und das beruhigende Gefühl verspürt, doch nicht alleine zu sein.
Puuuh, was dieser wunderschöne, weiche und bunte Teppich aus den 20er Jahren alles bei ihr auslöst oder vielmehr die Beschriftung. Jetzt braucht sie erstmal einen Espresso. Inga steht auf und geht näher zum Teppich, berührt dann sanft das kleine Schild mit ihren Fingerspitzen. Das zumindest kann ihr niemand verbieten.