Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog

Berühren
BITTE NICHT BERÜHREN steht mit großen Blockbuchstaben neben der Skulptur. Ein riesiges, flauschiges Etwas, das geradezu einlädt, berührt zu werden.
„Typisch, Künstlerinnen schaffen mit ihren Händen das, was ihnen Spaß macht: fummeln, streicheln, formen, kneten, drücken. Aber wenn es dann ausgestellt wird, darf es keiner mehr anfassen.“ Tina ist sichtlich verärgert, gehört sie doch zu denen, die sich ungern etwas vorschreiben lassen.
„Was glaubst du, wie diese weiße Skulptur aussähe, wenn sie jeder anfassen dürfte. Ich sag dir, das will ich dann nicht mehr anfassen.“ Melanie sieht alles aus beruflichen Gründen aus der gesundheitstechnischen Perspektive.
„Berühren, das ist fast immer nur was für die Fantasie.“ Alex will sich einbringen, weiß aber selber nicht genau, was er damit meint.
„Genau, aber leider beherrschen das zu wenige. Gut, dass die Debatte ums Anfassen mal ins Rollen gekommen ist.“ Tina ist mal wieder in ihrem Element.
„Genau“, pflichtet Melanie bei und klatscht ihrer Freundin grinsend auf den Po.
„Wenn ich so was mache, stehe ich mit einem Bein im Gefängnis“, bemerkt Steffen und legt seinen Arm um Alex’ Schulter und grinst dabei.
„Ich berühre gerne und werde auch gern berührt. Muss natürlich klar sein, von wem und warum“, Tina hakt sich bei Tom ein, ihre Beziehung ist erst ein paar Wochen alt.
„Können wir uns vielleicht auch mal über was anderes unterhalten als übers Berühren.“
„Wieso, auf der Hinfahrt im Zug haben wir nur über Ruhestand und Rente geredet. Berühren ist doch auch mal ein schönes ein Thema für unser Alter.“
„Meinst du jetzt berühren oder berührt werden?“ fragt Alex nach.
„Ich meine, für mich ist es schon eine neue Erfahrung, was Berührung alles bedeuten kann. Wenn ich jetzt meine Eltern besuche - die gehen beide auf die 90 zu - muss ich schon mal zur Hand gehen, wenn die Pflegerin nicht da ist.“
„Was mir auffällt, Männer haben damit schon ein größeres Problem, vor allem im Alter.“
„Wer sagt denn, dass Männer problematischer auf Berührungen reagieren?“
„Hört mal was hier steht!“ Alex beginnt vorzulesen: „Die Künstlerin Saijmarah Dschidifajin thematisiert in ihren raumgreifenden Installationen „Touch me“ die vielschichtige Dialektik des menschlichen Körpers als Projektionsfläche von Identität, Geschlechtlichkeit und deren kulturelle Verortung. In der kritischen Auseinandersetzung mit transkulturellen Kontexten und deren kontinuierlichen Transformationen. Damit reflektiert und dekonstruiert sie paradigmatische Narrative hegemonialer Machtverhältnisse innerhalb einer patriarchal strukturierten Gesellschaft. Ihre Werke thematisieren insofern auch eine introspektive Revision normativ geschlechtlicher, generationaler Verhaltenscodices.
„Haben wir das nicht gerade auch alles diskutiert?“, meint Alex und berührt ganz kurz mit einem Finger das weiße Fellungetüm, als der Museumswärter es nicht sieht.
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Berühren
BITTE NICHT BERÜHREN steht mit großen Blockbuchstaben neben der Skulptur. Ein riesiges, flauschiges Etwas, das geradezu einlädt, berührt zu werden.
„Typisch, Künstlerinnen schaffen mit ihren Händen das, was ihnen Spaß macht: fummeln, streicheln, formen, kneten, drücken. Aber wenn es dann ausgestellt wird, darf es keiner mehr anfassen.“ Tina ist sichtlich verärgert, gehört sie doch zu denen, die sich ungern etwas vorschreiben lassen.
„Was glaubst du, wie diese weiße Skulptur aussähe, wenn sie jeder anfassen dürfte. Ich sag dir, das will ich dann nicht mehr anfassen.“ Melanie sieht alles aus beruflichen Gründen aus der gesundheitstechnischen Perspektive.
„Berühren, das ist fast immer nur was für die Fantasie.“ Alex will sich einbringen, weiß aber selber nicht genau, was er damit meint.
„Genau, aber leider beherrschen das zu wenige. Gut, dass die Debatte ums Anfassen mal ins Rollen gekommen ist.“ Tina ist mal wieder in ihrem Element.
„Genau“, pflichtet Melanie bei und klatscht ihrer Freundin grinsend auf den Po.
„Wenn ich so was mache, stehe ich mit einem Bein im Gefängnis“, bemerkt Steffen und legt seinen Arm um Alex’ Schulter und grinst dabei.
„Ich berühre gerne und werde auch gern berührt. Muss natürlich klar sein, von wem und warum“, Tina hakt sich bei Tom ein, ihre Beziehung ist erst ein paar Wochen alt.
„Können wir uns vielleicht auch mal über was anderes unterhalten als übers Berühren.“
„Wieso, auf der Hinfahrt im Zug haben wir nur über Ruhestand und Rente geredet. Berühren ist doch auch mal ein schönes ein Thema für unser Alter.“
„Meinst du jetzt berühren oder berührt werden?“ fragt Alex nach.
„Ich meine, für mich ist es schon eine neue Erfahrung, was Berührung alles bedeuten kann. Wenn ich jetzt meine Eltern besuche - die gehen beide auf die 90 zu - muss ich schon mal zur Hand gehen, wenn die Pflegerin nicht da ist.“
„Was mir auffällt, Männer haben damit schon ein größeres Problem, vor allem im Alter.“
„Wer sagt denn, dass Männer problematischer auf Berührungen reagieren?“
„Hört mal was hier steht!“ Alex beginnt vorzulesen: „Die Künstlerin Saijmarah Dschidifajin thematisiert in ihren raumgreifenden Installationen „Touch me“ die vielschichtige Dialektik des menschlichen Körpers als Projektionsfläche von Identität, Geschlechtlichkeit und deren kulturelle Verortung. In der kritischen Auseinandersetzung mit transkulturellen Kontexten und deren kontinuierlichen Transformationen. Damit reflektiert und dekonstruiert sie paradigmatische Narrative hegemonialer Machtverhältnisse innerhalb einer patriarchal strukturierten Gesellschaft. Ihre Werke thematisieren insofern auch eine introspektive Revision normativ geschlechtlicher, generationaler Verhaltenscodices.
„Haben wir das nicht gerade auch alles diskutiert?“, meint Alex und berührt ganz kurz mit einem Finger das weiße Fellungetüm, als der Museumswärter es nicht sieht.