Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Ausfallstraße
RAU
Der Nachmittag ist frei, die Sonne lacht. Schnell mal raus aus der Stadt, Füße vertreten im Grünen und noch in einen See springen. Ab ins Auto, Motor an und los.
Am Schloss vorbei, danach stattliche, fünfstöckige, über hundert Jahre alte Häuser mit Säulen und Figuren als Fassadenschmuck. Dazwischen die sechsspurige Fahrbahn, doch rot-weiße Absperrungen reduzieren den Verkehr auf nur eine Spur. Stau, das wird wohl länger dauern. Bürgeramt, Schweizer Privatschule, Restaurant Hirsch, rechts die alten Backsteingebäude der DRK Klinik. Ihr Ruf ist gut, liegen möchte ich hier trotzdem nicht.
Über die achtspurige Stadtautobahn am Wasserturm vorbei, in der Mitte der Fahrbahnen ausgediente Gleise, hier soll bald wieder eine Straßenbahn fahren. Kleingartenkolonien rechts und vierstöckige Wohnhäuser links, an der Ecke das Berliner Schlemmerparadies mit Buletten und Currywurst. Kein Mensch zu sehen. Alte Fabrikgebäude in dunkelrotem Backstein und vielen weißen Fenstern zu beiden Seiten, hier wird ein traditionsreiches, deutsches Unternehmen bald in ein neues Quartier investieren, heißt es. Sechshundert Millionen für Siemensstadt 2.0., noch ist davon nichts zu sehen, dahinter Lidl und Rossmann, Fressnapf und Getränke Hoffmann.
Nach der maroden Eisenbahnbrücke ein großer Einrichtungsmarkt, daneben Multipolster mit schönen Sachen, wie das Plakat erklärt. Auf dem vertrockneten Grünstreifen zwischen den Fahrbahnen digitale, schnell wechselnde Werbeflächen. Rechter Hand ein großes BMW-Werk, gegenüber ein hohes Lagerboxgebäude in gelb-grün. Tiefstpreise und besten Truck Service verspricht Iveco, dann Metro, Aldi, Carglas, Cosywash, Obi, Kentucky Fried Chicken, Total, AutoHero, McDonnald, Mc Fit und Mc Oil, Suzuki, Toyota und Shell. Mein Tank ist voll, und an eine Wasserflasche habe ich auch gedacht, trotzdem ist mir leicht schlecht. Aber umkehren geht nicht, auf der Gegenfahrbahn ist Stau, also weiter, die Sonne scheint.
Im Hintergrund die dampfenden Schornsteine des Müllheizkraftwerkes, davor Kaufland und Bauhaus, dann ein kurzer Blick über die Havel und alte Lagerhäuser. Lastkähne, Ausflugs- und Segelschiffe teilen sich das Wasser, Enten, Schwäne und Möwen begleiten sie. Weite Sicht über das Wasser und in den Himmel, für fünf Sekunden fast eine Postkartenidylle.
Nach dem Kreisverkehr und zwei weiteren Ampeln schmucklose Häuser aus den Fünfzigerjahren mit kleinen Balkonen, vertrockneten Rasenflächen und niedrigen Hecken. Auf einem Spielplatz nur zwei Kinder und eine Frau auf der Bank, die mit ihrem Handy spielt. Drei Jugendliche stehen an der Bushaltestelle und kabbeln sich, ein paar ältere Frauen und Männer tragen ihre Einkäufe. Aldi, Netto und Rossmann, Friseur, Dönerladen, Grill-Shop, Kneipe mit Sky-Lizenz und Aral. Alles da, was man braucht.
Nach den Kleingärten wieder Hochhäuser, verdorrter Rasen, leere Wäschestangen. Kirche, Tierarztpraxis, Friseur, ATU-Zweigstelle, Real, Lagerverkauf für Büromöbel, Esso, links geht es zum Friedhof. Zwei junge, schwarze Männer in Hoodies und Kapuzen über den Köpfen stehen an der Bushaltestelle und rauchen. Leere Bürgersteige, keine U-Bahnstation mehr und auch kein Taxistand.
Zwei Kreuzungen später nach einer Baustoffhandlung zu beiden Seiten vierstöckige Wohnblöcke, die schon lange keinen neuen Anstrich bekommen haben. Netto, keine Bushaltestelle und auch keine Leute mehr. Wenn ich hier wohnen müsste, wüsste ich nicht weiter, hat Rosa neulich gemeint, als wir hier vorbeigefahren sind.
Neudorfer Allee 673, 'Lowe, der polnische Zaunexperte' steht in abgeblätterter Schrift am vorletzten Haus. Das nächste steht leer und fällt sicher bald zusammen. Dann endet Berlin, und Brandburg beginnt. Die Straße heißt nun Hamburger Chaussee, rechts Holzhandlung Klöper, links Gärtnerei Baderschneider und viele niedrige Schuppen, die verlassen wirken. Hinter der nächsten Kreuzung mit Hinweisschild zur Autobahn beginnen die ersten Wiesen und Rapsfelder, und der weite Himmel ist zu sehen. Endlich. Nach knapp zwanzig Kilometern und fünfundvierzig Minuten Fahrzeit. Jetzt dauert es nicht mehr lange bis zum See. Am Horizont die ersten Windräder.
Eigentlich wollte ich nur mal schnell raus aus der Stadt und im Grünen spazieren gehen. Warum nur bin ich nicht zuhause in meinem kleinen Garten geblieben?
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RAU
Der Nachmittag ist frei, die Sonne lacht. Schnell mal raus aus der Stadt, Füße vertreten im Grünen und noch in einen See springen. Ab ins Auto, Motor an und los.
Am Schloss vorbei, danach stattliche, fünfstöckige, über hundert Jahre alte Häuser mit Säulen und Figuren als Fassadenschmuck. Dazwischen die sechsspurige Fahrbahn, doch rot-weiße Absperrungen reduzieren den Verkehr auf nur eine Spur. Stau, das wird wohl länger dauern. Bürgeramt, Schweizer Privatschule, Restaurant Hirsch, rechts die alten Backsteingebäude der DRK Klinik. Ihr Ruf ist gut, liegen möchte ich hier trotzdem nicht.
Über die achtspurige Stadtautobahn am Wasserturm vorbei, in der Mitte der Fahrbahnen ausgediente Gleise, hier soll bald wieder eine Straßenbahn fahren. Kleingartenkolonien rechts und vierstöckige Wohnhäuser links, an der Ecke das Berliner Schlemmerparadies mit Buletten und Currywurst. Kein Mensch zu sehen. Alte Fabrikgebäude in dunkelrotem Backstein und vielen weißen Fenstern zu beiden Seiten, hier wird ein traditionsreiches, deutsches Unternehmen bald in ein neues Quartier investieren, heißt es. Sechshundert Millionen für Siemensstadt 2.0., noch ist davon nichts zu sehen, dahinter Lidl und Rossmann, Fressnapf und Getränke Hoffmann.
Nach der maroden Eisenbahnbrücke ein großer Einrichtungsmarkt, daneben Multipolster mit schönen Sachen, wie das Plakat erklärt. Auf dem vertrockneten Grünstreifen zwischen den Fahrbahnen digitale, schnell wechselnde Werbeflächen. Rechter Hand ein großes BMW-Werk, gegenüber ein hohes Lagerboxgebäude in gelb-grün. Tiefstpreise und besten Truck Service verspricht Iveco, dann Metro, Aldi, Carglas, Cosywash, Obi, Kentucky Fried Chicken, Total, AutoHero, McDonnald, Mc Fit und Mc Oil, Suzuki, Toyota und Shell. Mein Tank ist voll, und an eine Wasserflasche habe ich auch gedacht, trotzdem ist mir leicht schlecht. Aber umkehren geht nicht, auf der Gegenfahrbahn ist Stau, also weiter, die Sonne scheint.
Im Hintergrund die dampfenden Schornsteine des Müllheizkraftwerkes, davor Kaufland und Bauhaus, dann ein kurzer Blick über die Havel und alte Lagerhäuser. Lastkähne, Ausflugs- und Segelschiffe teilen sich das Wasser, Enten, Schwäne und Möwen begleiten sie. Weite Sicht über das Wasser und in den Himmel, für fünf Sekunden fast eine Postkartenidylle.
Nach dem Kreisverkehr und zwei weiteren Ampeln schmucklose Häuser aus den Fünfzigerjahren mit kleinen Balkonen, vertrockneten Rasenflächen und niedrigen Hecken. Auf einem Spielplatz nur zwei Kinder und eine Frau auf der Bank, die mit ihrem Handy spielt. Drei Jugendliche stehen an der Bushaltestelle und kabbeln sich, ein paar ältere Frauen und Männer tragen ihre Einkäufe. Aldi, Netto und Rossmann, Friseur, Dönerladen, Grill-Shop, Kneipe mit Sky-Lizenz und Aral. Alles da, was man braucht.
Nach den Kleingärten wieder Hochhäuser, verdorrter Rasen, leere Wäschestangen. Kirche, Tierarztpraxis, Friseur, ATU-Zweigstelle, Real, Lagerverkauf für Büromöbel, Esso, links geht es zum Friedhof. Zwei junge, schwarze Männer in Hoodies und Kapuzen über den Köpfen stehen an der Bushaltestelle und rauchen. Leere Bürgersteige, keine U-Bahnstation mehr und auch kein Taxistand.
Zwei Kreuzungen später nach einer Baustoffhandlung zu beiden Seiten vierstöckige Wohnblöcke, die schon lange keinen neuen Anstrich bekommen haben. Netto, keine Bushaltestelle und auch keine Leute mehr. Wenn ich hier wohnen müsste, wüsste ich nicht weiter, hat Rosa neulich gemeint, als wir hier vorbeigefahren sind.
Neudorfer Allee 673, 'Lowe, der polnische Zaunexperte' steht in abgeblätterter Schrift am vorletzten Haus. Das nächste steht leer und fällt sicher bald zusammen. Dann endet Berlin, und Brandburg beginnt. Die Straße heißt nun Hamburger Chaussee, rechts Holzhandlung Klöper, links Gärtnerei Baderschneider und viele niedrige Schuppen, die verlassen wirken. Hinter der nächsten Kreuzung mit Hinweisschild zur Autobahn beginnen die ersten Wiesen und Rapsfelder, und der weite Himmel ist zu sehen. Endlich. Nach knapp zwanzig Kilometern und fünfundvierzig Minuten Fahrzeit. Jetzt dauert es nicht mehr lange bis zum See. Am Horizont die ersten Windräder.
Eigentlich wollte ich nur mal schnell raus aus der Stadt und im Grünen spazieren gehen. Warum nur bin ich nicht zuhause in meinem kleinen Garten geblieben?