Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Ausfallstraße
WIE
„Was hältst du davon, wenn wir heute einen Ausflug nach Rennes machen? Wir könnten die Route Nationale nehmen, da sehen wir mehr von der Landschaft, schöne Alleen, Hecken, die Gegend ist bekannt für ihre Obstplantagen. Ich fahre, dann kannst du in aller Ruhe rausschauen.“
Die Fahrt beginnt tatsächlich ländlich und ganz idyllisch, aber schon nach wenigen Kilometer ist davon nicht mehr viel übrig. Sein Blick zieht an unendlich vielen Gebäuden am Straßenrand mit unterschiedlichen Farb- und Fassadenverkleidungen vorbei. Nicht alles kann er sofort identifizieren, ob es Lagerhallen, Autowerkstätten oder Handwerksbetriebe sind. Mal mehr oder weniger von Parkplätzen, Lagerflächen, Außenverkaufsflächen umgeben. Besser erkennbar sind die Einkaufscenter mit ihren riesigen Schildern und Firmenlogos, für jede Branche ein eigener Tempel, Küchenmöbel, Lampen, Anglerbedarf, Gartengeräte und vieles mehr. Dann wieder undefinierbare Flächen, auf denen kaum Benennbares aus Beton, Stahl, Plastik zu sehen und nicht erkennbar ist, ob etwas angeboten, angekauft, gelagert wird oder einfach verrotten soll.
„Nicht viel anders als in Bergisch Gladbach“, ist sein trockener Kommentar.
„Wir sind aber in Frankreich auf dem Weg nach Rennes, und ich bin froh, jetzt bei diesem schönen Wetter nicht in Bergisch Gladbach zu sein.“
„Dann schau dir doch mal die Häuser an. Die meisten von ihnen irgendwie ergänzt, angebaut, abgebaut, restauriert, überstrichen, provisorisch und improvisiert, es ist doch überall das Gleiche auf diesen endlos langen Straßen am Rande einer Stadt.“
„Sei doch froh, dass hier keine langweiligen Reihenhaussiedlungen stehen.“
„Das hier ist auch nicht viel besser“, antwortete er und beschreibt, was sich seinen Augen weiter alles bietet. „Was einst in guter architektonischer Absicht gebaut wurde, verändert sich mit der Zeit. Die ursprünglichen, ästhetischen Absichten verlieren sich, Praktisches und Funktionales überwiegen immer mehr. Das Zusammenleben zerstückelt, zerkleinert und teilt alles. Vererbung, Verkauf, Nutzungsänderung, was in einer liebevollen Absicht entstanden ist, ist nach drei Generationen, nach fünf unterschiedlichen Besitzern nicht wieder zu erkennen.“
„Ich sehe nur ein paar Häuschen mit Vorgärten, wieso musst du immer gleich die ganzen Lebensgeschichten sehen?“, meint sie.
„Ja, ich kann es nun mal nicht übersehen, diese vielen Lebensentwürfe, verloren gegangenen Träume, widersprüchliche Absichten. Rostige Hollywoodschaukeln, vermooste Swimmingpools, verschlissene Markisen, alle erzählen von Wünschen und Träumen, die zu leben doch viel komplizierter gewesen sind als gedacht. Warum bleiben so viele Materialien, die alles schön machen sollten, auf der Strecke? Warum verrotten die Absichten genauso schnell, wenn alles anders kommt, wenn Scheidung, Trennung und Pleiten dazwischenkommen?“
„Was regst du dich so auf? Gleich sind wir in Rennes, da soll eine sehr schöne Altstadt sein mit einer großen Markthalle, wir könnten dort ein paar leckere Kleinigkeiten essen, auf der Hand mit einem schönen Weißwein zusammen.“
„Weißt du eigentlich, was ich alles ertragen muss, bis ich zu diesen Genüssen komme? Was ich mir alles anschauen, was alles über mich ergehen lassen muss?“, meint er.
„Schau doch nicht hin.“
„Wohin soll ich denn sonst schauen? Mir geht es nun mal so, als würde ich nicht nur in Wohn-, Schlaf- und Badezimmer sehen, sondern auch in Keller, Garagen und Schuppen, nichts bleibt mir verschlossen. Und überall diese Unentschlossenheit, die Wankelmütigkeit, diese große Sehnsucht nach heiler Welt. Die Bemühungen, Schönheit zu schaffen, damit sie anschließend jahrelang, Sonne und Regen ausgesetzt, vor sich hin bröselt, ihre Farbe verliert und dahinvegetiert."
„Das alles geht dir durch den Kopf, während wir hier in die Stadt reinfahren?“
„Ja!“
„Oh, das tut mir leid, das wusste ich nicht. Dann hätten wir wohl doch besser die die Autobahn genommen.“
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Ausfallstraße
WIE
„Was hältst du davon, wenn wir heute einen Ausflug nach Rennes machen? Wir könnten die Route Nationale nehmen, da sehen wir mehr von der Landschaft, schöne Alleen, Hecken, die Gegend ist bekannt für ihre Obstplantagen. Ich fahre, dann kannst du in aller Ruhe rausschauen.“
Die Fahrt beginnt tatsächlich ländlich und ganz idyllisch, aber schon nach wenigen Kilometer ist davon nicht mehr viel übrig. Sein Blick zieht an unendlich vielen Gebäuden am Straßenrand mit unterschiedlichen Farb- und Fassadenverkleidungen vorbei. Nicht alles kann er sofort identifizieren, ob es Lagerhallen, Autowerkstätten oder Handwerksbetriebe sind. Mal mehr oder weniger von Parkplätzen, Lagerflächen, Außenverkaufsflächen umgeben. Besser erkennbar sind die Einkaufscenter mit ihren riesigen Schildern und Firmenlogos, für jede Branche ein eigener Tempel, Küchenmöbel, Lampen, Anglerbedarf, Gartengeräte und vieles mehr. Dann wieder undefinierbare Flächen, auf denen kaum Benennbares aus Beton, Stahl, Plastik zu sehen und nicht erkennbar ist, ob etwas angeboten, angekauft, gelagert wird oder einfach verrotten soll.
„Nicht viel anders als in Bergisch Gladbach“, ist sein trockener Kommentar.
„Wir sind aber in Frankreich auf dem Weg nach Rennes, und ich bin froh, jetzt bei diesem schönen Wetter nicht in Bergisch Gladbach zu sein.“
„Dann schau dir doch mal die Häuser an. Die meisten von ihnen irgendwie ergänzt, angebaut, abgebaut, restauriert, überstrichen, provisorisch und improvisiert, es ist doch überall das Gleiche auf diesen endlos langen Straßen am Rande einer Stadt.“
„Sei doch froh, dass hier keine langweiligen Reihenhaussiedlungen stehen.“
„Das hier ist auch nicht viel besser“, antwortete er und beschreibt, was sich seinen Augen weiter alles bietet. „Was einst in guter architektonischer Absicht gebaut wurde, verändert sich mit der Zeit. Die ursprünglichen, ästhetischen Absichten verlieren sich, Praktisches und Funktionales überwiegen immer mehr. Das Zusammenleben zerstückelt, zerkleinert und teilt alles. Vererbung, Verkauf, Nutzungsänderung, was in einer liebevollen Absicht entstanden ist, ist nach drei Generationen, nach fünf unterschiedlichen Besitzern nicht wieder zu erkennen.“
„Ich sehe nur ein paar Häuschen mit Vorgärten, wieso musst du immer gleich die ganzen Lebensgeschichten sehen?“, meint sie.
„Ja, ich kann es nun mal nicht übersehen, diese vielen Lebensentwürfe, verloren gegangenen Träume, widersprüchliche Absichten. Rostige Hollywoodschaukeln, vermooste Swimmingpools, verschlissene Markisen, alle erzählen von Wünschen und Träumen, die zu leben doch viel komplizierter gewesen sind als gedacht. Warum bleiben so viele Materialien, die alles schön machen sollten, auf der Strecke? Warum verrotten die Absichten genauso schnell, wenn alles anders kommt, wenn Scheidung, Trennung und Pleiten dazwischenkommen?“
„Was regst du dich so auf? Gleich sind wir in Rennes, da soll eine sehr schöne Altstadt sein mit einer großen Markthalle, wir könnten dort ein paar leckere Kleinigkeiten essen, auf der Hand mit einem schönen Weißwein zusammen.“
„Weißt du eigentlich, was ich alles ertragen muss, bis ich zu diesen Genüssen komme? Was ich mir alles anschauen, was alles über mich ergehen lassen muss?“, meint er.
„Schau doch nicht hin.“
„Wohin soll ich denn sonst schauen? Mir geht es nun mal so, als würde ich nicht nur in Wohn-, Schlaf- und Badezimmer sehen, sondern auch in Keller, Garagen und Schuppen, nichts bleibt mir verschlossen. Und überall diese Unentschlossenheit, die Wankelmütigkeit, diese große Sehnsucht nach heiler Welt. Die Bemühungen, Schönheit zu schaffen, damit sie anschließend jahrelang, Sonne und Regen ausgesetzt, vor sich hin bröselt, ihre Farbe verliert und dahinvegetiert."
„Das alles geht dir durch den Kopf, während wir hier in die Stadt reinfahren?“
„Ja!“
„Oh, das tut mir leid, das wusste ich nicht. Dann hätten wir wohl doch besser die die Autobahn genommen.“