Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Aufregend mild
RAU
Wenn das mal nicht ein perfekter PR-Coup ist. Chapeau! Charlotte ist begeistert und irritiert zugleich, und das will etwas heißen. Sie lehnt sich zurück und nimmt die Henry-Tonic-Flasche noch einmal in die Hand. Diese beiden Wörter stehen da wirklich auf dem Etikett, unglaublich.
Neugierig nimmt sie einen Schluck von dem kühlen Getränk, nicht schlecht, nicht soviel Zucker wie bei dem Schweppes Tonic, das sie immer kaufen. Schön kühl ist es auch, aber aufregend? Und dann mild? Na ja. Dass sie nicht lacht.
Ein besonderer Sonnenuntergang, ein bewegendes Buch, eine aufwühlende Theaterinszenierung oder eine Reise mit allen möglichen ungeplanten und unangenehmen Aufregungen, alles schon erlebt. Milde Winter und Sommerabende, ein zartes und mildes Stück Fisch oder Fleisch oder Gorgonzola, einfach köstlich. Sie sieht vom Fenster aus den vorbeigehenden Passanten auf dem Kudamm zu. Ein, zwei Männer sind dabei, die ihr gefallen, welche Überraschung. Normalerweise fällt ihr schon lange kein Mann mehr so richtig positiv auf, hängt wohl am Älterwerden. Ein paar Minuten später schlendert einer vorbei, der sie an einen früheren Freund erinnert, damals war sie etwas über zwanzig, und die Affaire mit ihm ging leider nicht lange. Ein wahrlich aufregender Mann, doppelt so alt und erfahren, anregend und aufregend. Aber gleichzeitig auch mild? Fehlanzeige, denn ziemlich abrupt und auch etwas feige hat er sich damals vom Acker gemacht.
Milde Männer hat sie einige getroffen, die meisten von ihnen haben sie gelangweilt. Frauenemanzipation hin und her, am liebsten sind ihr doch die mit Ecken und Kanten gewesen, die ihren Mann stehen, galant und gut angezogen sind, vom Handwerklichen etwas verstehen, empathisch sind, über sich reden, Gefühle haben und zeigen können. Eine seltsame Mischung, sie weiß. Doch die weichgespülten, womöglich noch strickenden Kerle in ausgeleierten Strickpullis und mit langen, ungepflegten Bärten damals waren nie ihre Favoriten. Genau deshalb ist sie ja auch bei Konrad geblieben, er hatte wohl genau diese Mischung, die die PR-Agentur von Henry-Tonic entwickelt hat. Wobei das mit dem ersten Begriff, dem aufregend, da müsste ihr geschätzter Gatte seit siebenundzwanzig Jahren schon mal wieder etwas nachlegen. Seitdem er nicht mehr offiziell arbeitet, naja, wie lässt es sich sagen, ohne zu verletzten? Könnte sich mehr Mühe geben auf einigen Gebieten, jetzt hat sie es, nimmt ihr Glas und leert ihr wunderbar aufregend mildes Grapefruit Tonic.
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Aufregend mild
RAU
Wenn das mal nicht ein perfekter PR-Coup ist. Chapeau! Charlotte ist begeistert und irritiert zugleich, und das will etwas heißen. Sie lehnt sich zurück und nimmt die Henry-Tonic-Flasche noch einmal in die Hand. Diese beiden Wörter stehen da wirklich auf dem Etikett, unglaublich.
Neugierig nimmt sie einen Schluck von dem kühlen Getränk, nicht schlecht, nicht soviel Zucker wie bei dem Schweppes Tonic, das sie immer kaufen. Schön kühl ist es auch, aber aufregend? Und dann mild? Na ja. Dass sie nicht lacht.
Ein besonderer Sonnenuntergang, ein bewegendes Buch, eine aufwühlende Theaterinszenierung oder eine Reise mit allen möglichen ungeplanten und unangenehmen Aufregungen, alles schon erlebt. Milde Winter und Sommerabende, ein zartes und mildes Stück Fisch oder Fleisch oder Gorgonzola, einfach köstlich. Sie sieht vom Fenster aus den vorbeigehenden Passanten auf dem Kudamm zu. Ein, zwei Männer sind dabei, die ihr gefallen, welche Überraschung. Normalerweise fällt ihr schon lange kein Mann mehr so richtig positiv auf, hängt wohl am Älterwerden. Ein paar Minuten später schlendert einer vorbei, der sie an einen früheren Freund erinnert, damals war sie etwas über zwanzig, und die Affaire mit ihm ging leider nicht lange. Ein wahrlich aufregender Mann, doppelt so alt und erfahren, anregend und aufregend. Aber gleichzeitig auch mild? Fehlanzeige, denn ziemlich abrupt und auch etwas feige hat er sich damals vom Acker gemacht.
Milde Männer hat sie einige getroffen, die meisten von ihnen haben sie gelangweilt. Frauenemanzipation hin und her, am liebsten sind ihr doch die mit Ecken und Kanten gewesen, die ihren Mann stehen, galant und gut angezogen sind, vom Handwerklichen etwas verstehen, empathisch sind, über sich reden, Gefühle haben und zeigen können. Eine seltsame Mischung, sie weiß. Doch die weichgespülten, womöglich noch strickenden Kerle in ausgeleierten Strickpullis und mit langen, ungepflegten Bärten damals waren nie ihre Favoriten. Genau deshalb ist sie ja auch bei Konrad geblieben, er hatte wohl genau diese Mischung, die die PR-Agentur von Henry-Tonic entwickelt hat. Wobei das mit dem ersten Begriff, dem aufregend, da müsste ihr geschätzter Gatte seit siebenundzwanzig Jahren schon mal wieder etwas nachlegen. Seitdem er nicht mehr offiziell arbeitet, naja, wie lässt es sich sagen, ohne zu verletzten? Könnte sich mehr Mühe geben auf einigen Gebieten, jetzt hat sie es, nimmt ihr Glas und leert ihr wunderbar aufregend mildes Grapefruit Tonic.