Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Alte Liebe
RAU
Alles so klein hier, die Häuser, Straßen und Plätze. Und die Erzählungen von früher so fad, dass ich mich recke und strecke und doch kaum Luft bekomme trotz geöffnetem Fenster im alten Kinderzimmer und langen Spaziergängen.
So ansehnlich die Häuser meiner ehemaligen Heimatstadt in den letzten Jahren auch renoviert und restauriert worden sind, beim Vorbeischlendern erzeugen sie bei mir nur Achselzucken. Habe ich das früher selbst nichtrenoviert schön gefunden? Auch mein früherer, ultimativ liebster Ort, die erste original italienische Eisdiele der Stadt, das Gabriela, hinterlässt dieses laue Gefühl. Diese knapp fünfzig Quadratmeter mit den damals schon unbequemen, metallenen, bunten Stühlen auf dem schwarz-weißen Fliesenboden und den mittlerweile verblichenen Fotografien einer italienischen Hafenstadt an den Wänden, auf denen Häuser, Hafenanlagen, Schiffe, Wasser und Himmel allesamt in ein blasses Einheitsbleu eingetaucht sind, als hätten sie sich schon vor Jahren von der Wirklichkeit verabschiedet.
Das hier ist früher mein kleines Paradies am Wochenende und nach der Schule gewesen? Die damals von uns allen umschwärmte Tochter des Besitzers Gabriela, nach der dieser sein Geschäft benannt hat, und die niemals jemand von uns auch nur einmal an den Händen halten, geschweige denn umarmen oder küssen durfte, ist heute eine etwas stämmig gewordene Anfang Vierzigjährige, der man es trotz gutem Haarschnitt und reichlich Make-up doch ansieht, dass in ihrem Leben nicht alles bestens gelaufen ist. Der älteste Sohn ist nur vier Wochen nach der Führerscheinprüfung auf seinem neuen Motorrad tödlich verunglückt, und der gut aussehende Ehemann hat sich ziemlich schnell als ein nicht kurierbarer Casanova entpuppt. Doch Mitleid ist noch nie gut gewesen, eine ehemalige Schwärmerei oder Verliebtheit wieder zu entfachen. Und so gehe ich stumm weiter.
Alte Liebe rostet nicht, so heißt es. Welcher Unsinn. Mit ehemaligen Orten, Kleidungsstücken oder Partnerinnen ist es doch nicht anders als mit Gabriela. Im Laufe der Jahre weichen Faszination und Genuss und machen einer erschreckenden Verwunderung und bleiernen Gleichgültigkeit, im schlimmsten Fall sogar Fremde Platz.
Jenes Hemd mit dem wilden, blau-grünen Muster hat mir wirklich einmal so dermaßen gut gefallen, dass ich es freiwillig jeden Abend ausgewaschen und über die Heizung gehängt habe, damit ich es am nächsten Morgen wieder habe anziehen können? Wochen-, vielleicht auch monatelang ist das damals so gegangen mit diesem Hemd, Mutter hat sich nur die Augen gerieben und irgendwann alle Versuche, mich davon abzubringen, aufgegeben.
Für dieses scheußliche Sakko und dieses unbequeme Sofa habe ich einmal soviel Geld bezahlt? Heute liegt eine weiße Decke über dem Ungetüm und das Sakko kommt jetzt endlich in die Kleidersammlung. Diese Frau mit den blonden Locken hat mich einmal halb um den Verstand gebracht? Für die andere bin für ein Wochenende nach Madrid geflogen, nur um mit ihr zu tanzen? Heute übersehe ich beide, wenn ich ihnen auf einer Milonga begegne, so blass und nichtssagend erscheinen sie mir. Sind einfach vom Thron der Verzückung gefallen.
Nicht charmant, ich weiß. Eigentlich sollte es die Möglichkeit geben, für immer diesen alten Lieben aus dem Weg zu gehen oder sie wie mit einem Radiergummi einfach auszustreichen, denn was können sie einem noch sagen? Dass alles einmal gewesen ist, man sich im schlimmsten Fall einfach verrannt, verirrt und vertan hat und selber darüber älter geworden ist? Na, schönen Dank auch, darauf wäre ich von allein niemals gekommen.
Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Alte Liebe
RAU
Alles so klein hier, die Häuser, Straßen und Plätze. Und die Erzählungen von früher so fad, dass ich mich recke und strecke und doch kaum Luft bekomme trotz geöffnetem Fenster im alten Kinderzimmer und langen Spaziergängen.
So ansehnlich die Häuser meiner ehemaligen Heimatstadt in den letzten Jahren auch renoviert und restauriert worden sind, beim Vorbeischlendern erzeugen sie bei mir nur Achselzucken. Habe ich das früher selbst nichtrenoviert schön gefunden? Auch mein früherer, ultimativ liebster Ort, die erste original italienische Eisdiele der Stadt, das Gabriela, hinterlässt dieses laue Gefühl. Diese knapp fünfzig Quadratmeter mit den damals schon unbequemen, metallenen, bunten Stühlen auf dem schwarz-weißen Fliesenboden und den mittlerweile verblichenen Fotografien einer italienischen Hafenstadt an den Wänden, auf denen Häuser, Hafenanlagen, Schiffe, Wasser und Himmel allesamt in ein blasses Einheitsbleu eingetaucht sind, als hätten sie sich schon vor Jahren von der Wirklichkeit verabschiedet.
Das hier ist früher mein kleines Paradies am Wochenende und nach der Schule gewesen? Die damals von uns allen umschwärmte Tochter des Besitzers Gabriela, nach der dieser sein Geschäft benannt hat, und die niemals jemand von uns auch nur einmal an den Händen halten, geschweige denn umarmen oder küssen durfte, ist heute eine etwas stämmig gewordene Anfang Vierzigjährige, der man es trotz gutem Haarschnitt und reichlich Make-up doch ansieht, dass in ihrem Leben nicht alles bestens gelaufen ist. Der älteste Sohn ist nur vier Wochen nach der Führerscheinprüfung auf seinem neuen Motorrad tödlich verunglückt, und der gut aussehende Ehemann hat sich ziemlich schnell als ein nicht kurierbarer Casanova entpuppt. Doch Mitleid ist noch nie gut gewesen, eine ehemalige Schwärmerei oder Verliebtheit wieder zu entfachen. Und so gehe ich stumm weiter.
Alte Liebe rostet nicht, so heißt es. Welcher Unsinn. Mit ehemaligen Orten, Kleidungsstücken oder Partnerinnen ist es doch nicht anders als mit Gabriela. Im Laufe der Jahre weichen Faszination und Genuss und machen einer erschreckenden Verwunderung und bleiernen Gleichgültigkeit, im schlimmsten Fall sogar Fremde Platz.
Jenes Hemd mit dem wilden, blau-grünen Muster hat mir wirklich einmal so dermaßen gut gefallen, dass ich es freiwillig jeden Abend ausgewaschen und über die Heizung gehängt habe, damit ich es am nächsten Morgen wieder habe anziehen können? Wochen-, vielleicht auch monatelang ist das damals so gegangen mit diesem Hemd, Mutter hat sich nur die Augen gerieben und irgendwann alle Versuche, mich davon abzubringen, aufgegeben.
Für dieses scheußliche Sakko und dieses unbequeme Sofa habe ich einmal soviel Geld bezahlt? Heute liegt eine weiße Decke über dem Ungetüm und das Sakko kommt jetzt endlich in die Kleidersammlung. Diese Frau mit den blonden Locken hat mich einmal halb um den Verstand gebracht? Für die andere bin für ein Wochenende nach Madrid geflogen, nur um mit ihr zu tanzen? Heute übersehe ich beide, wenn ich ihnen auf einer Milonga begegne, so blass und nichtssagend erscheinen sie mir. Sind einfach vom Thron der Verzückung gefallen.
Nicht charmant, ich weiß. Eigentlich sollte es die Möglichkeit geben, für immer diesen alten Lieben aus dem Weg zu gehen oder sie wie mit einem Radiergummi einfach auszustreichen, denn was können sie einem noch sagen? Dass alles einmal gewesen ist, man sich im schlimmsten Fall einfach verrannt, verirrt und vertan hat und selber darüber älter geworden ist? Na, schönen Dank auch, darauf wäre ich von allein niemals gekommen.