Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Roter Faden
RAU
Rote Lippen und rotes Portemonnaie, Mantel, Mütze, Handschuhe, Kleid, Hose, Schuhe, Tasche und i-phone auch in Rot. Wer sie kennt, weiß um ihre farbliche Vorliebe. Das war schon immer so, zumindest seit sie erwachsen ist. Als Kind trug sie viel Grün, weil ihre Mutter meinte, es stünde ihr so gut. Sie aber hat die Farbe immer gehasst.
Ihre Mutter lebt schon lange nicht mehr, vor dreißig Jahren ist sie in einem heißen Sommer gestorben. Endlich, haben sie damals gedacht, endlich ist sie von ihrer schlimmen Krankheit erlöst. Als kleines Mädchen hat sie ihr gerne morgens im Bad dabei zugeschaut, wie sie sich zurecht gemacht hat, Gesicht und Hände gecremt, Haare frisiert, Parfüm verstäubt und die Lippen rot gemalt hat. Auch wenn sie damals das Leben ihrer Mutter als Hausfrau langweilig gefunden hat, schön fand sie die roten Lippen immer. Und alles andere Rote auch.
Und so macht sie es seit Jahren auch. Als sie mit ihren Söhnen, sie waren damals noch im Kindergarten und haben weder ihre Oma noch ihren Opa gekannt, eines Nachmittags ihre alten Familienfamilie angesehen hat, haben sie sofort gerufen: Wo warst du denn da Mama? Sie haben die roten Lippen, die roten Handschuhe und das rote Portemonnaie gesehen und sofort gedacht, die Frau dort auf der Leinwand sei sie.
Nur einmal hat ihr ein Mann einen roten Lippenstift geschenkt, es war der Freund ihrer Nichte. Es muss ihn sehr beeindruckt haben, als sie morgens zusammen zum Bäcker gingen, und sie noch schnell ihren roten Lippenstift aufgetragen hat. Weshalb sie das mache, wollte er wissen. Man weiß nie, wem man begegnet, hat sie geantwortet. Es hätte ein Satz ihrer Mutter sein können, die auch nie ohne Lippenstift das Haus verlassen hat.
Erst neulich hat sie vom jungen Hohenzollernprinzen Friedrich Wilhelm gelesen, der nur fünfzehnjährig seine geliebte Mutter Luise verloren hat. Als späterer König hat er testamentarisch verfügt, dass sein Leichnam in der Hohenzollerngruft im Berliner Dom beigesetzt werden soll, sein Herz aber zuvor entnommen und dem Grab seiner Mutter beigelegt werden solle. Das hat sie sehr gerührt, soviel Liebe zur Mutter über den Tod hinaus.
Das kennt sie nicht, denn ihr Verhältnis zur Mutter war eher kühl. Doch die Liebe zu Rot führt sie weiter. So ist diese Farbe auch ein roter Faden ihres Lebens geworden, das würde ihrer Mutter sicherlich sehr gefallen. Gäbe es noch ihr Grab, würde sie heute vielleicht etwas kleines Rotes einbuddeln, ein paar wärmende Handschuhe zum Beispiel und ihr auch erzählen, dass ihr Grün immer noch nicht gefällt. Obwohl es ihr wirklich sehr gut steht.
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Roter Faden
RAU
Rote Lippen und rotes Portemonnaie, Mantel, Mütze, Handschuhe, Kleid, Hose, Schuhe, Tasche und i-phone auch in Rot. Wer sie kennt, weiß um ihre farbliche Vorliebe. Das war schon immer so, zumindest seit sie erwachsen ist. Als Kind trug sie viel Grün, weil ihre Mutter meinte, es stünde ihr so gut. Sie aber hat die Farbe immer gehasst.
Ihre Mutter lebt schon lange nicht mehr, vor dreißig Jahren ist sie in einem heißen Sommer gestorben. Endlich, haben sie damals gedacht, endlich ist sie von ihrer schlimmen Krankheit erlöst. Als kleines Mädchen hat sie ihr gerne morgens im Bad dabei zugeschaut, wie sie sich zurecht gemacht hat, Gesicht und Hände gecremt, Haare frisiert, Parfüm verstäubt und die Lippen rot gemalt hat. Auch wenn sie damals das Leben ihrer Mutter als Hausfrau langweilig gefunden hat, schön fand sie die roten Lippen immer. Und alles andere Rote auch.
Und so macht sie es seit Jahren auch. Als sie mit ihren Söhnen, sie waren damals noch im Kindergarten und haben weder ihre Oma noch ihren Opa gekannt, eines Nachmittags ihre alten Familienfamilie angesehen hat, haben sie sofort gerufen: Wo warst du denn da Mama? Sie haben die roten Lippen, die roten Handschuhe und das rote Portemonnaie gesehen und sofort gedacht, die Frau dort auf der Leinwand sei sie.
Nur einmal hat ihr ein Mann einen roten Lippenstift geschenkt, es war der Freund ihrer Nichte. Es muss ihn sehr beeindruckt haben, als sie morgens zusammen zum Bäcker gingen, und sie noch schnell ihren roten Lippenstift aufgetragen hat. Weshalb sie das mache, wollte er wissen. Man weiß nie, wem man begegnet, hat sie geantwortet. Es hätte ein Satz ihrer Mutter sein können, die auch nie ohne Lippenstift das Haus verlassen hat.
Erst neulich hat sie vom jungen Hohenzollernprinzen Friedrich Wilhelm gelesen, der nur fünfzehnjährig seine geliebte Mutter Luise verloren hat. Als späterer König hat er testamentarisch verfügt, dass sein Leichnam in der Hohenzollerngruft im Berliner Dom beigesetzt werden soll, sein Herz aber zuvor entnommen und dem Grab seiner Mutter beigelegt werden solle. Das hat sie sehr gerührt, soviel Liebe zur Mutter über den Tod hinaus.
Das kennt sie nicht, denn ihr Verhältnis zur Mutter war eher kühl. Doch die Liebe zu Rot führt sie weiter. So ist diese Farbe auch ein roter Faden ihres Lebens geworden, das würde ihrer Mutter sicherlich sehr gefallen. Gäbe es noch ihr Grab, würde sie heute vielleicht etwas kleines Rotes einbuddeln, ein paar wärmende Handschuhe zum Beispiel und ihr auch erzählen, dass ihr Grün immer noch nicht gefällt. Obwohl es ihr wirklich sehr gut steht.