Texte zum Alltäglichen -
der wöchentliche Schreibblog
Abtauchen
RAU
Vor dem Fenster steht ein neuer Tisch. Lampen, Teppich, Schrank, Regale und Bilder sind auch neu, nur sein alter Trip Trap Stuhl steht noch da. Charlotte liegt auf seinem alten Bett und wartet, wieder einmal. Wie so oft. Dass er anruft. Es ist Sonntagabend.Wenn er anruft, dann Sonntagabend gegen sechs Uhr, meist ist er dann gerade auf dem Weg von hier nach dort. So genau sagt er es nie, aber sie hört während der Gespräche, dass er unterwegs ist. Wohin sagt er nicht, und auch nicht, ob jemand neben ihm ist.
Alles gut, Mama? So fängt er immer an, und was soll sie darauf schon antworten? Also erzählt sie von der Woche und der Arbeit, von Konrad und den Mädchen, in letzter Zeit auch von ihrer Mutter. Dass sie jetzt bald in ein Heim muss. Was eben so alles passiert ist seit dem letzten Telefonat.
Geht’s dir gut?, fragt sie zum Einstieg. Vielleicht ist das schon falsch, denn sie bekommt nie die Antwort, die sie möchte. Gesprächig war Max noch nie, wie alle Männer in der Familie ist er eher schweigsam. Schon ihr Vater redete nicht viel, und Konrad spricht auch immer weniger, je älter er wird.
Alles in Ordnung, antwortet Max immer.
Charlotte weiß nicht mehr, wann es angefangen hat mit seinem Schweigen. Wohl schon in der Pubertät, und zwei lebhafte Schwestern sind auch nicht gerade einfach gewesen für einen sensiblen Jungen, die haben ihn häufig regelrecht an die Wand gedrückt, bildlich gesprochen natürlich. Vielleicht haben sie doch etwas nicht richtig gemacht, denkt sie, aber Konrad will davon nichts hören. Der kommt schon wieder, versucht er sie jedes Mal zu beruhigen, wenn sie mal wieder kurz vor den Tränen ist. Sechs Monate schon hat sie ihren Sohn nicht mehr gesehen und weiß auch gar nicht genau, wo er steckt. In seinem Atelier in der Stadt oder in dem an der See oder ganz wo anders? Normal findet sie das nicht, dass sie sich nicht sehen, und sie nichts mehr von ihm weiß. Aber vielleicht muss es so sein, der Junge muss seinen eigenen Weg finden, meint Konrad. Aber deshalb muss er doch nicht abtauchen, erwidert sie dann, weil sie sich einfach nicht daran gewöhnen will, dass sie Max nicht mehr zu Gesicht bekommt und so gut wie nichts mehr von ihm weiß. Studiert er noch oder hat er hingeschmissen? Und wovon bezahlt er eigentlich sein Leben? Die monatlichen Überweisungen an ihn kommen seit einem halben Jahr wieder zurück aufs Konto. Was haben sie verkehrt gemacht? Doch die Mädchen bevorzugt und zu sehr in den Mittelpunkt gestellt? Die Ältere zu viel gelobt, weil sie immer alles bestens gemacht hat, und die Jüngste zu sehr verhätschelt als Nachzüglerin. Auch das war wohl nicht richtig, denn sie wankt immer noch mehr durchs Leben als gut ist. Aber Max, ihr Sonnenschein? Will scheinbar gerade nichts mehr von ihnen wissen. Er wird erwachsen, sagt Konrad und wirkt fast stolz dabei. Max scheint ihm nicht zu fehlen oder gibt er es nur nicht zu?
Wie geht’s mit der Arbeit?, fragt sie oft.
Gut, das Projekt ist umfangreicher als gedacht.
Max ...
Alles gut, Mama.
Dann ist ja gut.
Texte zum Alltäglichen -
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Abtauchen
RAU
Vor dem Fenster steht ein neuer Tisch. Lampen, Teppich, Schrank, Regale und Bilder sind auch neu, nur sein alter Trip Trap Stuhl steht noch da. Charlotte liegt auf seinem alten Bett und wartet, wieder einmal. Wie so oft. Dass er anruft. Es ist Sonntagabend.Wenn er anruft, dann Sonntagabend gegen sechs Uhr, meist ist er dann gerade auf dem Weg von hier nach dort. So genau sagt er es nie, aber sie hört während der Gespräche, dass er unterwegs ist. Wohin sagt er nicht, und auch nicht, ob jemand neben ihm ist.
Alles gut, Mama? So fängt er immer an, und was soll sie darauf schon antworten? Also erzählt sie von der Woche und der Arbeit, von Konrad und den Mädchen, in letzter Zeit auch von ihrer Mutter. Dass sie jetzt bald in ein Heim muss. Was eben so alles passiert ist seit dem letzten Telefonat.
Geht’s dir gut?, fragt sie zum Einstieg. Vielleicht ist das schon falsch, denn sie bekommt nie die Antwort, die sie möchte. Gesprächig war Max noch nie, wie alle Männer in der Familie ist er eher schweigsam. Schon ihr Vater redete nicht viel, und Konrad spricht auch immer weniger, je älter er wird.
Alles in Ordnung, antwortet Max immer.
Charlotte weiß nicht mehr, wann es angefangen hat mit seinem Schweigen. Wohl schon in der Pubertät, und zwei lebhafte Schwestern sind auch nicht gerade einfach gewesen für einen sensiblen Jungen, die haben ihn häufig regelrecht an die Wand gedrückt, bildlich gesprochen natürlich. Vielleicht haben sie doch etwas nicht richtig gemacht, denkt sie, aber Konrad will davon nichts hören. Der kommt schon wieder, versucht er sie jedes Mal zu beruhigen, wenn sie mal wieder kurz vor den Tränen ist. Sechs Monate schon hat sie ihren Sohn nicht mehr gesehen und weiß auch gar nicht genau, wo er steckt. In seinem Atelier in der Stadt oder in dem an der See oder ganz wo anders? Normal findet sie das nicht, dass sie sich nicht sehen, und sie nichts mehr von ihm weiß. Aber vielleicht muss es so sein, der Junge muss seinen eigenen Weg finden, meint Konrad. Aber deshalb muss er doch nicht abtauchen, erwidert sie dann, weil sie sich einfach nicht daran gewöhnen will, dass sie Max nicht mehr zu Gesicht bekommt und so gut wie nichts mehr von ihm weiß. Studiert er noch oder hat er hingeschmissen? Und wovon bezahlt er eigentlich sein Leben? Die monatlichen Überweisungen an ihn kommen seit einem halben Jahr wieder zurück aufs Konto. Was haben sie verkehrt gemacht? Doch die Mädchen bevorzugt und zu sehr in den Mittelpunkt gestellt? Die Ältere zu viel gelobt, weil sie immer alles bestens gemacht hat, und die Jüngste zu sehr verhätschelt als Nachzüglerin. Auch das war wohl nicht richtig, denn sie wankt immer noch mehr durchs Leben als gut ist. Aber Max, ihr Sonnenschein? Will scheinbar gerade nichts mehr von ihnen wissen. Er wird erwachsen, sagt Konrad und wirkt fast stolz dabei. Max scheint ihm nicht zu fehlen oder gibt er es nur nicht zu?
Wie geht’s mit der Arbeit?, fragt sie oft.
Gut, das Projekt ist umfangreicher als gedacht.
Max ...
Alles gut, Mama.
Dann ist ja gut.